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14.06.2007; 10:49 Uhr
»Esra«: Unabhängiges Gutachten empfiehlt Vorrang der Kunstfreiheit
Verfasser legen BVerfG Korrektur des »Mephisto«-Urteils nahe

In einem Gutachten im Rahmen des Verfassungsbeschwerdeverfahrens gegen das Verbot des Romans »Esra« von Maxim Biller plädieren die Verfasser für eine Aufhebung des Verbots. Wie die »Welt Online« in einem Artikel vom 14.6.2007 aus dem Gutachten zitiert, kommen der Düsseldorfer Rechtsanwalt Christian Eichner und der Germanist York-Gothart Mix zu dem Ergebnis, dass im Rahmen der Abwägung zwischen den verfassungsrechtlich geschützten Gütern des allgemeinen Persönlichkeitsrechts und der Kunstfreiheit letzterer der Vorrang zukomme. Wie die »FAZ« am selben Tag in ihrer Druckausgabe jedoch unter Berufung auf das BVerfG mitteilt, handelt es sich bei dem Gutachten nicht um ein in Auftrag gegebenes, sondern unaufgefordert eingesandtes.

Der Bundesgerichtshof (BGH) hatte am 21.6.2005 letztinstanzlich der Klage von Mutter und Tochter auf Unterlassung der Verbreitung des Romans »Esra« von Maxim Biller stattgegeben (ZUM 2005, 735-739). Er begründete dies damit, dass die Klägerinnen für den Leser erkennbar in den Romanfiguren verkörpert worden wären und diese »Abbilder« gegenüber den »Urbildern« nicht genügend durch künstlerische Umgestaltung verselbständigt erschienen. Damit werde rechtswidrig in ihr verfassungsrechtlich geschütztes allgemeines Persönlichkeitsrecht eingegriffen, was auch nicht durch Abwägung mit der Kunstfreiheit des Autors gerechtfertigt sei. Gegen dieses Urteil hat der Verlag, bei dem der Roman erschienen ist, Verfassungsbeschwerde vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) eingelegt.

In dem - dem BVerfG am 24.5.2007 vorgelegten - Gutachten verweisen die beiden Verfasser zunächst auf die grundsätziche Bedeutung und Dimension des Falles. Angesichts der gestiegenen Zahl von Verbotsverfahren gegen Kunstwerke, die mit dem Schutz von Persönlichkeitsrechten begründet worden seien, tangiere die anstehende Entscheidung der Karlsruher Richter Grundsatzprobleme der Literarizität, Fiktionalität und die Frage nach der in der Verfassung abgeschafften, realiter aber existenten Zensur in Deutschland. Ihrer Meinung nach sei die »Mephisto«-Entscheidung des BVerfG, an die der BGH anknüpfe und partiell sogar noch zu Lasten der Kunstfreiheit reduziere, hinsichtlich der Entscheidungsregeln zur Erkennbarkeit strukturell fehlerhaft, da verkannt werde, dass - so die »Welt« - in dem Roman Wirklichkeit nicht abgeschildert, sondern nach einer »literaturästhetischen Programmatik« geformt werde, der eine eigene Logik zugrunde liege. Erst wenn dieser dezidiert literarästhetische Funktions- und Kommunikationskontext nicht mehr im Vordergrund stehe, sei der Charakter der Fiktion und des Kunstwerks nicht mehr gegeben. Letzteres sei aber bei »Esra« gerade nicht der Fall, weshalb »unbedingt im Sinne der Kunstfreiheit zu entscheiden« sei.

Dokumente:

Institutionen:

Zu diesem Thema:

  • Grenzenlose Freiheit der Kunst und Grenzen des Urheberrechts - Oder über Kunst lässt sich trefflich streiten? Aufsatz von Prof. Dr. Artur Wandtke, Berlin, ZUM 2005, 769-775
  • Fiktion und Wirklichkeit im Roman - Der Schlüsselprozess um das Buch »Esra«, ein Essay von Bernhard von Becker, Würzburg 2006
[IUM/hl]

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