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23.01.2008; 11:55 Uhr
BVerfG präzisiert Anforderungen für Abdruck einer Gegendarstellung bei mehrdeutigen Äußerungen
DFJV begrüßt Entscheidung der Karlsruher Richter: »Stärkung der Position der Presse«

Ein Anspruch auf Abdruck einer Gegendarstellung bei mehrdeutigen Äußerungen besteht nur dann, wenn sich bei verdeckten Äußerungen eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen enthaltene zusätzliche eigene Aussage dem Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen muss. Dies entschied die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) durch Beschluss vom 19.12.2007 (Az. 1 BvR 967/05 - Veröffentlichung in der ZUM folgt).

Die Beschwerdeführerin veröffentlichte in der von ihr herausgegebenen Wochenzeitschrift einen Artikel, der die Verurteilung der von dem Artikel Betroffenen zu Entschädigungszahlungen aufgrund von ihr zu Unrecht erlangter Leistungen für ein angeblich in den Wirren des Zweiten Weltkriegs verloren gegangenes Aktienvermögen zum Gegenstand hatte. Hiergegen strebte die Betroffene den Abdruck einer Gegendarstellung an, die ihr das Oberlandesgericht Hamburg mit der Begründung zusprach, dass derjenige, der eine Äußerung aufstelle oder verbreite, sich bei Gegendarstellungsansprüchen grundsätzlich jede vertretbare, jedenfalls nicht fern liegende Interpretationsmöglichkeit entgegenhalten lassen müsse (ZUM-RD 2005, 279-281). Demgegenüber sieht das BVerfG in diesem Maßstab eine Verletzung der Pressefreiheit und und verwies die Sache an das Landgericht zurück.

Ebenso wie bei der Beurteilung eines Unterlassungsanspruchs bei mehrdeutigen Meinungsäußerungen einer Erstmitteilung sei nach Ansicht der Verfassungsrichter zunächst das Ziel maßgebend, Einschüchterungseffekte für den Äußernden nach Möglichkeit zu vermeiden. Jedoch dürften bei Gegendarstellungen nicht die für Unterlassungsansprüche geltenden Grundsätze angewandt werden (siehe hierzu BVerfG ZUM-RD 2006, 1 - Stolpe - sowie Meldung vom 16.11.2005), da die Presse nur selten Gelegenheit habe, die Veröffentlichung einer Entgegnung durch Berichtigung der Äußerung abzuwehren. Auch sei eine Gegendarstellung häufig mit einem schwer ausgleichbaren Imageschaden verbunden: Ihr Abdruck erwecke bei den Lesern häufig nachträglich nicht zu beseitigende Zweifel an der gleichwohl wahrheitsgemäßen und rechtlich zulässigen Berichterstattung, weil diese die dabei offen bleibenden Fragen der Wahrheit sowie Rechtmäßigkeit der Berichterstattung in der Regel nicht selbst klären könnten.

Um also die Belange der Pressefreiheit und den Schutz des durch die Presseäußerung nachteilig Betroffenen in Ausgleich zu bringen, sei daher bei einer Verurteilung zur Gegendarstellung der auch sonst bei verdeckten Äußerungen angewandte Maßstab zugrunde legen, ob sich eine im Zusammenspiel der offenen Aussagen enthaltene zusätzliche eigene Aussage dem Leser als unabweisbare Schlussfolgerung aufdrängen muss. Als verfassungsrechtlich bedenklich hingegen schätzte das BVerfG das bislang von den Fachgerichten angewandte Kriterium für eine Verurteilung einer »nicht fern liegenden Deutung« bei der Ermittlung der verdeckten Aussage ein. Damit könne den besonderen Rahmenbedingungen der Pressearbeit - z. B. auch noch nicht abgeschlossene Rechercheergebnisse mitteilen zu dürfen - hinreichend Rechnung getragen werden, ohne dass die Presse sich zu einer starken Zurückhaltung in ihrer Berichterstattung veranlasst sehen müsste.

Der Deutsche Fachjournalisten-Verband (DFJV) begrüßte die Entscheidung des BVerfG und sein Vorstand, Thomas Dreesen, verlieh seiner Hoffnung Ausdruck, dass mit diesen höheren Hürden für Gegendarstellungen dem Trend entgegengewirkt werden könne, Journalisten bei wahrheitsgemäßer, aber unliebsamer Berichterstattung durch Gerichtsverfahren mundtot zu machen.

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