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30.03.2011; 23:17 Uhr
Generalanwalt: Gericht am Ort des »Schwerpunkts des Konflikts« für Internetpublikationen zuständig
BGH verneint internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Rufschädigung in russischem Portal

In dem verbundenen Vorabentscheidungsverfahren zu einem der Sedlmayr-Fälle (Beklagter ist ein österreichisches Internetportal, BGH-Beschluss vom 10. November 2009) und Olivier Martinez (vorgelegt vom Tribunal de grande instance de Paris) hat EuGH-Generalanwalt Pedro Cruz Villalón am 29. März 2011 seinen Schlussantrag gestellt. Der BGH fragte an, ob Art. 5 Nr. 3 der EuGVVO (Nr. 44/2001) einen über die technisch mögliche Abrufbarkeit von Inhalten hinausgehenden besonderen Inlandsbezug voraussetzt und wenn ja, nach welchen Kriterien sich dieser Inlandsbezug bemisst. Die Karlsruher Richter hatten zudem Bedenken an der internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte, da nach dem Herkunftslandprinzip in Art. 3 der E-Commerce-Richtlinie (2000/31/EG) möglicherweise österreichisches Recht zu Anwendung kommen müsse. Nach Ansicht des Generalanwalts stellt diese Vorschrift jedoch keine kollisionsrechtliche Norm dar. Längere Ausführungen macht er zur Frage des Inlandsbezuges.

Der Generalanwalt verweist in der Begründung seines Schlussantrages auf das Shevill-Urteil des EuGH (Rn. 33 ff.). Im Shevill-Urteil schuf der EuGH für grenzüberschreitende Konflikte im Immaterialgüterrecht zwei Gerichtsstände. Zum Ort des ursächlichen Geschehens trat der Ort des tatsächlichen Schadenseintritts. Dem lag ein ehrverletzender Artikel in einem Printmedium zugrunde. Villalón schlägt eine Anpassung dieser Rechtsprechung an die vorliegenden Umstände vor, weil Veröffentlichungen im Internet nicht mehr so klar abgrenzbar seien, wie Printpublikationen. Aus der internationalen Verfügbarkeit von Informationen folge eine rechtliche Fragmentierung, von der eine abschreckende Wirkung, »chilling effects«, für die rechtmäßige Ausübung der Informationsfreiheit ausgehe. Wenn Informationen im Netz kursieren, werde die Kontrolle und die Messung ihrer Auswirkungen unmöglich.

Gleichzeitig sei das Opfer besonders exponiert. Ein uferloses Forum-Shopping hält der Generalanwalt aber für verkehrt. Bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet sei daher im Rahmen der internationalen Zuständigkeit »ein zusätzliches Anknüpfungskriterium auf der Grundlage des Ortes des Schwerpunkts des Konflikts zwischen den betroffenen Gütern und Werten« zu berücksichtigen. In Anbetracht des von Villalón aufgezeigten Spannungsverhältnisses zwischen Informationsfreiheit und Persönlichkeitsrecht befinde sich der »Schwerpunkt des Konflikts« dort, »wo ein Gericht unter den günstigsten Umständen einen Konflikt zwischen der Informationsfreiheit und dem Recht am eigenen Bild entscheiden kann«. Dort, wo Informationen »objektiv relevant«, ihre Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht am stärksten und wo Rechtsstreite am wahrscheinlichsten sind, könne ein Interessenkonflikt am besten beurteilt werden.

Der BGH hat erneut zur internationalen Zuständigkeit deutscher Gerichte bei Persönlichkeitsrechtsverletzungen im Internet entschieden (Urteil vom 29. März 2011, Az. VI ZR 111/10, Veröffentlichung in ZUM oder ZUM-RD folgt). Die Bundesrichter prüfen in solchen Fällen, ob »die als rechtsverletzend beanstandeten Inhalte objektiv einen deutlichen Bezug zum Inland in dem Sinne aufweisen, dass eine Kollision der widerstreitenden Interessen – Interesse des Klägers an der Achtung seines Persönlichkeitsrechts einerseits, Interesse des Beklagten an der Gestaltung seines Internetauftritts und an einer Berichterstattung andererseits – nach den Umständen des konkreten Falls, insbesondere aufgrund des Inhalts der beanstandeten Meldung, im Inland tatsächlich eingetreten sein kann oder eintreten kann«. Im vorliegenden Fall berichtete jedoch die Beklagte, eine in den USA wohnhafte Russin, auf einem russischen Internetportal über ein Klassentreffen in der Wohnung des Klägers in Moskau. Von der Beschreibung des Klägers, Russe mit Wohnsitz in Russland und Deutschland, aus dieser Begegnung erlangten im Wesentlichen nur die an dem Treffen sonstigen Beteiligten Kenntnis. Daher lag kein deutlicher Inlandsbezug vor, auch wenn der Kläger unter anderem in Deutschland wohnt.

Im vergangenen Frühjahr bejahte der 6. Zivilsenat die internationale Zuständigkeit deutscher Gerichte für einen Rechtsstreit um rufschädigende Äußerungen in der »New York Times« (vgl. Meldung vom 2. März 2010). Der objektiv deutlicher Inlandsbezug lag darin, dass der Kläger - wie im aktuellen Fall ebenfalls ein Russe - in Deutschland wohnt und ihm Kontakte zu einer international agierenden Mafia nachgesagt wurden, zudem in dem Umstand, dass die »New York Times« 14.000 Abonnenten mit Wohnsitz in Deutschland hat.

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