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09.11.2011; 19:24 Uhr
BGH: Gestalter eines Gebrauchsgegenstandes muss genau und deutlich dessen künstlerische Komponente darlegen
Handwerklich-konstruktiver Gestaltungsraum führt nicht zur urheberrechtlichen Schutzfähigkeit einer technisch bedingten Gestaltung

Der BGH bestätigt in seinem Urteil vom 12. Mai 2011 (Az.: I ZR 53/10, Veröffentlichung in ZUM bzw. ZUM-RD folgt) die Entscheidung des Kammergerichts über die Urheberrechtsschutzfähigkeit der als »Seilzirkus« bezeichneten Kletternetze für Kinderspielplätze. Die Kletternetze, an denen die Klägerin ausschließliche Nutzungsrechte zu haben behauptete, seien keine nach § 2 Abs. 1 Nr. 4 UrhG geschützten Werke der angewandten Kunst.

Die Kletternetze »Seilzirkus« sind ursprünglich vom Architekten Conrad Roland entworfen worden. Sie bestehen aus einem im Boden verankerten Mast und aus an der Mastspitze und im Boden befestigten und durch Innennetze miteinander verknüpften Seilen. Mit Ihrer Klage forderte die Klägerin unter anderem Unterlassung von Konkurrenten, die gleichartig konstruierte Kletternetze unter anderer Bezeichnung vertreiben und herstellen. Das Landgericht Berlin hat diesem Antrag uneingeschränkt stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Kammergericht die Klage vollständig abgewiesen.

Der BGH folgt der Begründung des Kammergerichts. Er unterscheidet in der Urteilsbegründung zwischen Werken der angewandten Kunst und der »reinen« (zweckfreien) Kunst. Die gemäß § 2 Abs. 2 UrhG erforderliche »persönliche geistige Schöpfung individueller Prägung« lehnt der BGH aufgrund der technisch bedingten Gestaltung der Kletternetze ab. Als technisch bedingte Merkmale seien sowohl solche zu verstehen, die bei gleichartigen Erzeugnissen aus technischen Gründen zwingend verwendet werden müssen, als auch solche Merkmale, die zwar aus technischen Gründen verwendet werden, aber frei wählbar oder austauschbar sind. Als weiteren Punkt gegen den Urheberrechtsschutz führt der BGH das »System der Rechte des geistigen Eigentums« an. Auch im Marken- und Geschmacksmusterrecht sei es den Inhabern der Schutzrechte verwehrt, technische Lösungen für sich zu monopolisieren. Eine urheberrechtliche Schutzfähigkeit technisch bedingter Gestaltungen ohne den erforderlichen ästhetischen Gehalt würde diesem »System« widersprechen.

Da die Kletternetze bereits nicht Schöpfungen individueller Prägung sind, kam es auf den Grad des ästhetischen Gehalts nicht mehr an. Der BGH lässt daher die Beantwortung der Frage, ob an den unterschiedlichen Schutzanforderungen für zweckfreie Kunst und angewandte Kunst festzuhalten ist, ausdrücklich offen. Dagegen spreche die 2004 erfolgte Neugestaltung des Geschmacksmusterrechts. Nach aktueller Auslegung sei jedenfalls eine über das Technische hinausgehende künstlerische Gestaltung zu verlangen, was dazu führen könne, dass »ein Werk der angewandten Kunst, das eine ebensogroße ästhetische Wirkung ausübt wie ein Werk der zweckfreien Kunst, anders als dieses keinen Urheberrechtsschutz genießt«.

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[IUM/eg]

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