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26.01.2015; 10:35 Uhr
EUGH: Der Erschöpfungsgrundsatz ist auf die Verbreitung einer Reproduktion des Werks auf anderem Werkträger nicht anwendbar
Übertragung eines Werks von einem Papierposter auf eine Leinwand kann nur mit weiterer Zustimmung in den Verkehr gebracht werden

Art. 4 Abs. 2 der Info-Richtlinie ist dahingehend auszulegen, dass die Regel der Erschöpfung des Verbreitungsrechts nicht anwendbar ist, wenn das Trägermedium einer in der Europäischen Union mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebrachten Reproduktion eines geschützten Werks, etwa durch Übertragung der Reproduktion von einem Papierposter auf eine Leinwand, ersetzt und sie in ihrer neuen Form erneut in Verkehr gebracht wurde. Dies hat der Gerichtshof der Europäischen Union (EUGH) durch Urteil vom 22. Januar 2015 entschieden (Az.: C-419/13 - Veröffentlichung in der ZUM bzw. ZUM-RD folgt). Die Entscheidung folgte auf ein Vorabentscheidungsersuchen in dem Rechtsstreit zwischen Art & Allposters International BV (Allposters) und der niederländischen Verwertungsgesellschaft Stichting Pictoright (Pictoright) um eine angebliche Verletzung der von Pictoright verwerteten Urheberrechte, die Allposters durch die Übertragung von Abbildungen geschützter Werke von Papierpostern auf Leinwand und den Verkauf der Bilder auf diesem neuen Träger begangen haben sollte.

Allposters bietet über Websites Poster und andere Reproduktionsarten von Werken berühmter Maler an, deren Urheberrechte Pictoright verwertet. Unter anderem werden die Werke auf Leinwand zum Kauf angeboten. Hierbei wird das Papierposter des gewählten Werks derart bearbeitet, dass es vom Papier auf die Leinwand übertragen wird und auf dem Papierträger verschwindet. Allposters bezeichnet diesen Vorgang als »Leinwandtransfer«.

Wegen dieser Verbreitung der Werke auf Leinwand ging Pictoright gerichtlich gegen Allposters vor, da die Reproduktionen ohne Zustimmung der ihr angeschlossenen Urheberrechtsinhaber verkauft wurden. Während die erste Instanz die Klage abwies, gab das Berufungsgericht den Klägern größtenteils Recht. Nach Ansicht der Richter der 2. Instanz handelte es sich bei dem »Leinwandtransfer« um eine Neuveröffentlichung im Sinne des Art. 12 Aw. Diese erfordere nach der Poortvliet-Rechtsprechung des Hoge Raad der Nederlanden aus dem Jahr 1979, dass das vom Rechteinhaber in Verkehr gebrachte Exemplar eines Werks in anderer Form verbreitet werde, sofern dies neue Verwertungsmöglichkeiten mit sich bringe. Dies sei hier der Fall, da Allposters beim Verkauf der Leinwand höhere Preise verlangen könne und eine neue Zielgruppe anspreche. Da das Inverkehrbringen von »Leinwandtransfers« damit eine nach niederländischem Recht verbotene Veröffentlichung sei, greife die Erschöpfung des Verbreitungsrechts damit nicht.

Daraufhin legte Allposters beim Hoge Raad der Nederlanden Kassationsbeschwerde ein. Die Auslegung der Begriffe »Erschöpfung« und »Veröffentlichung« seien auf EU-Ebene harmonisiert worden. Die Erschöpfung des Verbreitungsrechts im Sinne des Art. 4 Abs. 2 der Info-Richtlinie trete bei Verbreitung eines in einem Gegenstand verkörperten Werks ein, wenn es durch den Rechtsinhaber oder mit dessen Zustimmung in Verkehr gebracht worden sei. Eine etwaige spätere Veränderung dieses Gegenstands wirke sich nicht auf die Erschöpfung des Verbreitungsrechts aus. Pictoright argumentierte dagegen, dass die Poortvliet-Rechtsprechung mangels einer Harmonisierung des Bearbeitungsrechts im Urheberrecht der Union ihre Gültigkeit behalte oder zumindest mit dem Unionsrecht vereinbar sei. 

Der Hoge Raad setzte das Verfahren aus und rief den EuGH zur Vorabentscheidung an. Dieser beschäftigte sich sodann mit zwei Fragen. Einerseits musste geklärt werden, ob sich die Erschöpfung des Verbreitungsrechts auf den Gegenstand erstreckt, der ein Werk oder dessen Vervielfältigungsstück verkörpert, oder auf die geistige Schöpfung des Urhebers, und zum anderen war zu prüfen, ob sich eine Änderung des Trägers wie die von Allposters vorgenommene auf die Erschöpfung des ausschließlichen Verbreitungsrechts auswirkt.

Was erstens den Gegenstand des Verbreitungsrechts betrifft, stellten die Luxemburger Richter klar, dass die Erschöpfung des Verbreitungsrechts gem. Art. 4 Abs. 2 der Info-Richtlinie auf den ein geschütztes Werk oder dessen Vervielfältigungsstück verkörpernden Gegenstand Anwendung findet, wenn er mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebracht wurde.

Im nächsten Schritt war zu prüfen, ob sich der Umstand, dass der mit Zustimmung des Urheberrechtsinhabers in Verkehr gebrachte Gegenstand anschließend Änderungen seines Trägermaterials erfahren hat, auf die Erschöpfung des Verbreitungsrechts im Sinne von Art. 4 Abs. 2 der Info-Richtlinie auswirkt. 

Allposters argumentierte hier, die Übertragung auf eine Leinwand könne nicht als Reproduktion bezeichnet werden, da die Zahl der Vervielfältigungsstücke des geschützten Werks aufgrund der Übertragung der Abbildung und ihres Verschwindens vom Papierposter nicht zunehme. Die das Werk wiedergebende Tinte werde nicht verändert, und das Werk selbst bleibe völlig unberührt. Dem folgte der EUGH nicht. Entscheidend sei vielmehr, ob der geänderte Gegenstand als solcher insgesamt gesehen materiell der Gegenstand sei, der mit Zustimmung des Rechtsinhabers in Verkehr gebracht wurde. Das sei aber nach Ansicht der Richt im Ausgangsverfahren nicht der Fall. Daher erstrecke sich die Zustimmung des Urheberrechtsinhabers nicht auf die Verbreitung eines sein Werk verkörpernden Gegenstands, wenn dieser Gegenstand nach seinem erstmaligen Inverkehrbringen in einer Weise verändert wurde, dass er eine neue Reproduktion des Werks darstellt. In einem solchen Fall erschöpft sich das Recht zur Verbreitung des Gegenstand erst, wenn der Erstverkauf dieses neuen Gegenstands oder die erstmalige Übertragung des Eigentums an ihm mit Zustimmung des Rechtsinhabers erfolgt sei. 

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