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03.05.2016; 20:52 Uhr
BVerfG: Meinungsfreiheit schützt auch emotionalisierte Äußerungen
»Recht auf Gegenschlag« ist nicht auf sachliche Erwiderung beschränkt

Mit einem erst jetzt veröffentlichten Beschluss vom 10. März 2016 hat das BVerfG entschieden, dass die Meinungsfreiheit auch die Freiheit umfasst, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert darzustellen, insbesondere als Erwiderung auf einen unmittelbar vorangegangenen Angriff auf die Ehre, der gleichfalls in emotionalisierender Weise erfolgt ist (Az.: 1 BvR 2844/13 - Veröffentlichung in ZUM bzw. ZUM-RD folgt). 

Damit gab das BVerfG der Verfassungsbeschwerde einer Beschwerdeführerin statt, die sich gegen eine zivilgerichtliche Unterlassungsverurteilung gewandt hatte.

Im Fall hatte die Beschwerdeführerin im Jahr 2010 gegen ihren ehemaligen Partner, Jörg Kachelmann, Strafanzeige wegen Vergewaltigung erstattet. Ende Mai 2011 wurde der Beklagte von den gegen ihn gerichteten Vorwürfen freigesprochen. Es konnte keine für eine Verurteilung ausreichende Gewissheit gewonnen werden, dass der Vergewaltigungsvorwurf zutreffend war. Nach dem Freispruch stellten beide Parteien in den Medien ihre Sichtweise der Sache dar. In der Folgezeit begehrte Kachelmann von der Beschwerdeführerin die Unterlassung mehrerer Äußerungen, die sie im Rahmen eines Interviews getätigt hatte. Das LG verurteilte die Beschwerdeführerin antragsgemäß. Die Berufung zum OLG und die Nichtzulassungsbeschwerde zum BGH blieben ohne Erfolg.

Die 3. Kammer des Ersten Senats des BVerfG kam zu dem Ergebnis, dass die angegriffenen Entscheidungen die Beschwerdeführerin in ihrer Meinungsfreiheit aus Art. 5 Abs. 1 GG verletzen. »Die freie Meinungsäußerung umfasst nicht zuletzt die Freiheit, die persönliche Wahrnehmung von Ungerechtigkeiten in subjektiver Emotionalität in die Welt zu tragen«, so das BVerfG. Dabei könne insbesondere bei Vorliegen eines unmittelbar vorangegangenen Angriffs auf die Ehre eine diesem Angriff entsprechende, ähnlich wirkende Erwiderung gerechtfertigt sein. »Wer im öffentlichen Meinungskampf zu einem abwertenden Urteil Anlass gegeben hat, muss eine scharfe Reaktion auch dann hinnehmen, wenn sie das persönliche Ansehen mindert.«

Das BVerfG führt weiter aus: »Indem die Gerichte davon ausgingen, dass sich die Beschwerdeführerin auf eine sachliche Wiedergabe der wesentlichen Fakten zu beschränken habe, und hierfür auf das öffentliche Informationsinteresse abstellen, verkennen sie die durch Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG auch unabhängig von einem solchen Interesse geschützte Freiheit, ein Geschehen subjektiv und sogar emotionalisiert zu bewerten.«

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