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17.12.2007; 10:19 Uhr
Belgische Must-carry-Regelung kann durch kulturpolitische Erwägungen gerechtfertigt sein
EuGH: Einschränkung des freien Dienstleistungsverkehrs muss aber nach transparenten und objektiven Kriterien erfolgen

Die Erteilung des nach belgischen Vorschriften vergebenen »Must-carry-Status'« an Rundfunkveranstalter kann durch die Kulturpolitik des Mitgliedstaates gerechtfertigt sein, wenn damit der pluralistische Charakter des Fernsehprogrammangebots aufrecht erhalten werden soll und die Vergabe des »Must-carry-Status'« in einem transparenten Verfahren nach objektiven und nicht diskriminierenden Regelungen erfolgt. Dies entschied der Europäische Gerichtshof (EuGH) in einem Urteil vom 13. Dezember 2007 (Az. C-250/06 - Veröffentlichung in der ZUM folgt).

Belgische Kabelnetzbetreiber im zweisprachigen Gebiet »Brüssel-Hauptstadt« sind nach nationalem Recht verpflichtet, Rundfunkveranstalter, die der Zuständigkeit der französischen oder der flämischen Gemeinschaft unterstehen und den »Must-carry-Status« besitzen, in ihre Systeme einzuspeisen. Damit soll der pluralistische und kulturelle Charakter des Programmangebots in Kabelfernsehnetzen gesichert und der Zugang aller Fernsehzuschauer zu dieser Meinungsvielfalt gewährleistet werden. Die privaten Rundfunkveranstalter mit »Must-carry-Status« sind durch Ministerialverordnung festgelegt. Vier Netzbetreiber der Hauptstadtregion sahen hierin u. a. eine ungerechtfertigte Behinderung des freien Dienstleistungsverkehrs, da insbesondere solche private Rundfunkveranstalter benachteiligt würden, die ihren Sitz in anderen Mitgliedstaaten haben. Auf ihre Klage hielt der Conseil d'Ètat in Teilen eine Auslegung von Gemeinschaftsrecht für erforderlich und legte dem EuGH vier Fragen vor.

Auf zwei Fragen konstatierte der EuGH zunächst, dass die nationalen Regelungen zur Übertragungspflicht eine Belastung der in anderen Mitgliedstaaten niedergelassenen Rundfunkveranstalter darstelle, da sie ohne »Must-carry-Status« ihren Zugang zu den Kabelnetzen aushandeln müssten, oder doch zumindest geeignet seien, den freien Dienstleistungsverkehr gem. Art. 49 EG zu behindern, da die Einspeisungspflichten vor allem Zugang zu lokalen und nationalen Informationen gewähren sollen. Jedoch könnten diese durch kulturpolitische Erwägungen als zwingender Grund des Allgemeinwohls gerechtfertigt sein. Insofern werde das Ziel, den pluralistischen Charakter des Fernsehprogramms zu erhalten, hiervon gedeckt und die Übertragungspflicht in Anbetracht der Zweisprachigkeit der Brüssel-Region auch dazu geeignet, dieses Ziel zu erreichen. Hinsichtlich der Erforderlichkeit stehe den nationalen Stellen ein weites Ermessen zu, müsse aber folgende Maßstäbe dabei wahren:

Zum einen müsse die Erteilung des »Must-carry-Status'« einem transparenten Verfahren unterliegen, dessen Kriterien den Rundfunkveranstaltern im Voraus bekannt sein müssten, damit sie in der Lage seien, die von ihnen zu erfüllenden Voraussetzungen feststellen zu können. Nur so könne verhindert werden, dass die Mitgliedstaaten das ihnen zustehende Ermessen missbräuchlich ausübten. Gemessen hieran sei die streitgegenständliche Ministerialverordnung nicht als ausreichend anzusehen. Zum anderen müsse die Erteilung des »Must-carry-Status'« auf der Grundlage objektiver Kriterien erfolgen, die geeignet seien, den Pluralismus sicherzustellen. So könne dieser Status nicht allen Fernsehsendern gewährt, sondern müsse auf diejenigen beschränkt werden, deren gesamter Programminhalt geeignet sei, dieses Ziel zu erreichen. Daher dürfe die Zahl der für Private reservierten Kanäle nicht offensichtlich höher sein als zur Zielerreichuung notwendig. Schließlich dürften diese Kriterien nicht diskriminierend seien, insbesondere die Gewährung des »Must-carry-Status'« weder rechtlich noch faktisch von einer Niederlassung im nationalen Hoheitsgebiet abhängig machen. Ob diese Voraussetzungen erfüllt seien, müsse nun das vorlegende Gericht entscheiden.

Die weiteren zwei Fragen, ob Belgien den mit einem »Must-carry-Status« versehenen Unternehmen ein besonderes oder ausschließliches Recht eingeräumt habe, durch dessen Ausübung sie eine beherrschende Stellung missbräuchlich ausnutzten, wies der EuGH als unzulässig zurück: Hier habe das vorlegende Gericht nicht die tatsächlichen und rechtlichen Umstände erläutert, auf deren Grundlage der EuGH über das Vorliegen einer beherrschenden Stellung oder eines missbräuchlichen Verhaltens entscheiden könnte.

Dem EuGH liegt derzeit ein Beschluss des Verwaltungsgerichts Hannover vor, wonach dieses geklärt wissen will, inwieweit die Regelungen des Niedersächsischen Landesmediengesetzes zur analogen Kanalbelegung mit der EU-Universaldienstrichtlinie vereinbar sind, auf deren Grundlage eine Entscheidung der Landesmedienanstalt erging, die letztlich zur Vollbelegung des Kabelnetzes von Kabel Deutschland führte (siehe Meldung vom 15.6.2007).

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