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05.11.2014; 11:34 Uhr
EGMR: Verletzung von Art. 10 EKMR (Freiheit der Meinungsäußerung) in polnischem Verleumdungsverfahren
Polnische Gerichte hätten an Regisseur und Historiker keine höheren Anforderungen stellen sollen als an Journalisten

Herr Grzegorz Michal Braun, polnischer Staatsangehöriger, ist Filmregisseur, Historiker und Urheber von Presseartikeln über aktuelle Themen. 

In einer Radiodebatte über Lustration im April 2007 bezeichnete Herr Braun einen bekannten Professor als Informanten für die politische Geheimpolizei zur Zeit des Kommunismus. 

2008 verurteilte ein regionales Gericht Herrn Braun, eine Geldbuße zu zahlen und eine Entschuldigung dafür zu veröffentlichen, dass er den Ruf des Professors beschädigt habe.

Der Oberste Gerichtshof Polens wies Herrn Brauns Rechtsmittel zurück; allerdings beschränkte er die Verpflichtung der öffentlichen Entschuldigung auf eine nationale Tageszeitung und einen Radiosender. Ursprünglich war sie für mehrere Medien angeordnet worden. Insbesondere hob der Oberste Gerichtshof hervor, dass ein Journalist im Rahmen der Berichterstattung über ein Thema von öffentlichem Interesse der Rechtsprechung nach nicht verpflichtet werden könne, den Wahrheitsgehalt jeder einzelnen Aussage zu beweisen. Herr Braun könne jedoch nicht als Journalist betrachtet werden und seine Aussagen seien privater Natur gewesen.

In seiner Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte (EGMR) vom 29. Mai 2010 beruft sich Herr Braun auf Art. 10 (Freiheit der Meinungsäußerung) der Europäischen Menschenrechtskonvention (EKMR): Die Entscheidungen der polnischen Gerichte hätten sein Recht auf freie Meinungsäußerung verletzt. Er betonte, dass er lange als Journalist gearbeitet hätte. In der Radiodebatte sei es zudem um eine wichtige Frage im Zusammenhang mit einer Persönlichkeit des öffentlichen Lebens gegangen. 

Der EGMR stellt eine Verletzung von Art. 10 fest. Insbesondere hätte der polnische Oberste Gerichtshof hinsichtlich der Wahrheitsfindung keine höheren Anforderungen an Herrn Braun stellen sollen als an Journalisten. Es sei nicht von besonderer Bedeutung gewesen, ob Herr Braun ein Journalist nach polnischem Recht war. Es wäre weder Aufgabe des polnischen Gerichts gewesen, zu entscheiden, ob Herr Braun sich auf hinreichend genaue und zuverlässige Informationen gestützt hatte, noch ob die Anschuldigungen gerechtfertigt waren. 

Wichtig sei, dass Herr Braun als anerkannter Experte an einer öffentlichen Debatte über ein wichtiges Thema teilgenommen hatte. 

Polen solle an Herrn Braun eine gerechte Entschädigung (Art. 41 EKMR) in Höhe von 8.000 EUR für Vermögensschäden, 3.000 EUR für immateriellen Schaden und 3.000 EUR für Kosten und Auslagen zahlen.

(Rechtssache Braun/Polen, Kammerurteil vom 4. November 2014, Beschwerde Nr. 30162/10)

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