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14.05.2003; 17:44 Uhr
Nicht strafbare Abtreibung darf nicht ohne Weiteres als "rechtswidrig" bezeichnet werden
BGH beendet Streit über Zulässigkeit ehrabschneidender Äußerungen über Abtreibungsärzte

Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) rechtswidrige, nach dem Strafgesetzbuch (StGB) aber nicht strafbare Abtreibungen dürfen öffentlich nicht ohne Weiteres als "rechtswidrig" bezeichnet werden. Das ergibt sich aus einem Beschluss des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 1.4.2003, der am 14.5.2003 veröffentlicht wurde (Az. VI ZR 366/02). Die Entscheidung des BGH, mit der eine Nichtzulassungsbeschwerde abgewiesen wurde, setzt ein Ende unter den Streit zwischen verschiedenen Oberlandesgerichten (OLG) über die Zulässigkeit ehrabschneidender Äußerungen über Abtreibungsärzte.

Im Fall hatte ein Abtreibungsgegner wiederholt auf der Straße vor der Praxis von Abtreibungsärzten in Baden-Württemberg demonstriert. Er trug dabei Schilder, auf denen er ein Ende der "rechtswidrigen Abtreibungen" der namentlich genannten Ärzte forderte. Außerdem verteilte er Flugblätter, in denen es im Zusammenhang mit der namentlich genannten jeweiligen Stadt unter anderem hieß: "Rechtswidrige Abtreibungen - Und Sie schweigen zum Mord an unseren Kindern?". In den Flugblättern wurden die Abtreibungen auch als "neuer Holocaust" bezeichnet. Die betroffenen Ärzte hatten den Abtreibungsgegner wegen der Demonstrationen auf Unterlassung verklagt.

Das OLG Stuttgart hatte die Bezeichnung der Abtreibungen als "Mord" und "neuer Holocaust" im Mai 2002 in einem der Fälle für unzulässig erklärt und den Abtreibungsgegner verurteilt, die Äußerungen zu unterlassen. Die Richter begründeten ihre Entscheidung vor allem damit, dass in den Flugblättern kein Bezug zu der einschlägigen Rechtsprechung des BVerfG hergestellt worden war. Der Begriff "rechtswidrig" müsse deshalb nach dem allgemeinen Sprachgebrauch verstanden werden. Der durchschnittliche Leser werde die Flugblätter so verstehen, dass mit "rechtswidrigen" Abtreibungen strafbare Abtreibungen gemeint seien.

Das OLG Karlsruhe erklärte die Äußerungen im April 2003 dagegen in einem ganz ähnlichen Fall für zulässig. Das Gericht meinte, der betroffene Arzt müsse die Vorwürfe hinnehmen. Vom Grundrecht auf freie Meinungsäußerung könnten auch herabsetzende Äußerungen über Dritte gedeckt sein. Über die Zulässigkeit müsse in jedem Einzelfall eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit und dem Persönlichkeitsrechtsschutz des Angegriffenen entscheiden. Wenn eine Meinungsäußerung wie im Fall nicht eigennützigen Zwecken diene, sondern als Beitrag im geistigen Meinungskampf zu verstehen sei, spreche eine Vermutung für ihre Zulässigkeit.

Der BGH schloss sich nun im Ergebnis der Auffassung des OLG Stuttgart an, der dem Abtreibungsgegner die Äußerungen untersagt hatte. Die Richter warfen dem Demonstranten vor, den Begriff der "Rechtswidrigkeit" in einer Art und Weise verwendet zu haben, der eine "Prangerwirkung" gegen den genannten Arzt erzeugt habe. Diese "Prangerwirkung" sei auch beabsichtigt gewesen. Diese Verletzung des Persönlichkeitsrechts des betroffenen Arztes wiege so schwer, dass die Meinungsfreiheit des Abtreibungsgegners bei einer Abwägung zurücktreten müsse.

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