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29.11.2011; 15:23 Uhr
EuGH-Generalanwalt zu den Grenzen des Urheberrechtsschutzes von Software
Funktionalitäten eines Computerprogramms und Programmiersprache nicht geschützt - Dekompilieren unter bestimmten Voraussetzungen zulässig

Der EuGH wurde vom britischen High Court of Justice angerufen, um die Grenzen des Urheberrechtsschutzes von Software zu präzisieren (Az. C-406/10). Die Klägerin SAS Institute Inc. (Statistical Analytics Sofware) stellte die Software zur statistischen Datenverarbeitung, mit der Kunden auch selbst Programme schreiben können, als Erste her. Das SAS-System basiert auf einer als »SAS-Sprache« bekannten Programmiersprache. Es ist in sich geschlossen und mit der Software anderer Lieferanten nicht kompatibel, sodass der Kunde, wollte er die Software wechseln, seine Anwendungsprogramme unter Einsatz hoher Kosten in einer anderen Sprache neu schreiben müsste. Die Beklagte World Programming Limited (WPL) entwickelte deswegen ein Produkt, mit dem die in »SAS-Sprache« geschriebenen Anwendungsprogramme und die im entsprechenden Format abgelegten Daten auch ohne die stets neu zu erwerbenden erforderlichen SAS-Komponenten benutzt werden konnten.

Wie aus den Schlussanträgen Bots hervorgeht, machte die Beklagte aus ihrer »Absicht, die Funktionalitäten der SAS-Programme so weit wie möglich nachzubilden«, keinen Hehl. Es wurde jedoch im nationalen Verfahren nicht dargelegt, dass WPL Zugang zum Quellode der SAS-Software hatte. Die Klage ist unter anderem auf die unberechtigte Vervielfältigung der in den Benutzerhandbüchern von SAS erläuterten »SAS-Sprache« sowie einer daraus resultierenden mittelbaren urheberrechtswidrigen Vervielfältigung der entsprechenden Computerprogramme gestützt. Die Hauptfragen des Vorabentscheidungsverfahrens betreffen demnach den Urheberrechtsschutz einer Programmiersprache und der Funktionalitäten eines Computerprogramms nach der Richtlinie 91/250/EWG.

Die englischen Instanzgerichte entschieden, dass es keine Verletzung des Urheberrechts an dem Quellcode eines Computerprogramms darstellt, wenn ein Konkurrent des Urheberrechtsinhabers untersucht, wie das Programm funktioniert, und sodann sein eigenes Programm schreibt und versucht, diese Funktionalität nachzubilden. EuGH-Generalanwalt Yves Bot kommt zu dem Ergebnis, dass Funktionalitäten eines Programms nach der Richtlinie 91/250/EWG nicht urheberrechtlich geschützt sind. Zur Begründung verweist er auf Art. 1 Abs. 2 Satz 2 der Richtlinie und den entsprechenden Erwägungsgrund, die einen Schutz der Ideen und Grundsätze, die der Logik, den Algorithmen und den Programmsprachen zugrunde liegen, ausschließen. Funktionalitäten eines Computerprogramms seien durch ein »bestimmtes und begrenztes Ziel bestimmt« und daher einer Idee vergleichbar. Der Generalanwalt definiert die Funktionalitäten einer Software als »die Gesamtheit der Möglichkeiten, die ein Dateiverarbeitungssystem bietet« oder »die Leistung, die der Benutzer von ihm erwartet«. Ein Funktionalitätenschutz würde zur Monopolisierung von Ideen und »demnach zum Schaden des technischen Fortschritts und der industriellen Entwicklung« führen.

Auch die Programmiersprache sei nicht urheberrechtlich geschützt. Wie jede andere Sprache sei sie nur »das Mittel, um sich auszudrücken, nicht aber die Ausdrucksform selbst«. Das Unionsrecht schütze nur den konkreten Ausdruck, wenn Auswahl und Zusammenstellung der Programmierelemente »die Kreativität und das Können des Programmierers erkennen lassen«. Jeder Programmierer müsse bei der Ausarbeitung einer Software die Aufgaben festlegen und analysieren, wie die von ihm gewünschten Resultate erzielt werden. Er lege also die Arbeitsschritte fest, die zur Erreichung seines Ziels notwendig sind. »Die Art und Weise, wie diese Schritte ausgedrückt werden, gibt dem Programm seine besonderen Merkmale hinsichtlich Schnelligkeit, Leistungsfähigkeit und sogar Stil«.

Eine weitere Vorlagefrage betrifft die Zulässigkeit des Dekompilierens. Beim Dekompilieren wird die Maschinensprache eines ausführbaren Programms, der Binärcode, wieder in für Menschen lesbaren Quellcode übersetzt. Nach Art. 6 der Richtlinie 91/250/EWG ist die Dekompilierung ausnahmsweise zulässig, wenn nur auf diese Weise Informationen über den Quellcode eines Programms zu erlangen sind und dies erforderlich ist, um ein Programm kompatibel mit anderen Programmen zu machen (Interoperabilität, vgl. auch § 69 e UrhG). Dabei darf der fremde Quellcode nicht in das neue Programm übernommen werden. Ob dies geschah, als WPL seine mit der SAS-Software kompatiblen Programme erstellte, ist Tatfrage und daher noch vom nationalen Gericht zu prüfen.

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