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03.09.2015; 12:19 Uhr
OLG Hamburg wendet Recht auf Vergessenwerden auf Online-Archiv an
Online-Archiv muss Suchmaschinen bei bloßer Namenseingabe Zugriff auf Artikel verwehren

Das Oberlandesgericht (OLG) Hamburg hat in einem nun veröffentlichten Urteil vom 7. Juli 2015 (Az.: 7 U 29/12 - Veröffentlichung in der ZUM bzw. ZUM-RD folgt) entschieden, dass das Online-Archiv einer Tageszeitung dahingehend modifiziert werden muss, dass der in den dort befindlichen Beiträgen enthaltene Name des Klägers von Internet-Suchmaschinen nicht erfasst wird. Den Anspruch stützen die Richter auf § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB analog in Verbindung mit dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht. Wie die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) am 21. August 2015 berichtet, hatte ein Kommunikationsberater gegen einen Verlag wegen des Online-Archivs der »Süddeutschen Zeitung« geklagt. Diese hatte darüber berichtet, dass der Kläger in Verdacht stand, von einer Autobahnraststätte aus zwei anonyme Faxe verschickt zu haben, um einen Bankvorstand zu erpressen und einen bekannten Wirtschaftsanwalt wegen Steuerhinterziehung anzuschwärzen. Das Verfahren wurde gegen Zahlung eines Geldbetrags eingestellt. Der Verlag hatte hierüber wahrheitsgemäß berichtet. Die entsprechenden Berichte hielt er außerdem in seinem Online-Archiv zum Abruf bereit. Über Suchmaschinen wurde dem Internetnutzer bei Eingabe des Namens des Klägers der Link zum Artikel bereitgestellt.

Wie Dr. Cornelius Renner in einem Blog vom 18. August 2015 berichtet, verlangte der Kläger zunächst die Unterlassung der Veröffentlichung. Hilfsweise verlangte er vom Verlag, dass die Meldung nicht mehr über Suchmaschinen auffindbar sein dürfe. Ein Verbot der Veröffentlichung lehnte das OLG Hamburg ab. Der Beitrag enthielte eine wahre Berichterstattung über Vorgänge, an denen der Kläger beteiligt gewesen sei. Anders als die Vorinstanz gewährten die Richter dem Kläger aber den Anspruch, über Suchmaschinen nicht mehr gefunden zu werden. Nach Ansicht des Senats wird das Persönlichkeitsrecht des Klägers durch den Umstand, dass die streitgegenständlichen Presseveröffentlichungen für jeden Internetnutzer leicht auffindbar und zugänglich sind, in nicht unwesentlichem Maße beeinträchtigt. Bereits die bloße Eingabe des Namens in das Suchfeld von Internet-Suchmaschinen führe zu dem entsprechenden Link. Auf diese Weise werde die Verbreitung von Mitteilungen perpetuiert, die geeignet sind, das Ansehen des Klägers in der Öffentlichkeit nachhaltig zu beeinträchtigen. Soweit berechtigte Interessen der Allgemeinheit oder einzelner Angehöriger der Allgmeinheit daran bestünden, über ältere Presseartikel vergangene Geschehen zu recherchieren, erfordere dieses Interesse aber nicht, dass bereits über eine bloße Namenseingabe entsprechende Artikel zugänglich seien. Die an den vergangenen Geschehen interessierten Kreise könnten auch durch vorgangsbezogene Suchwörter bzw. Jahrgänge zu den Artikeln gelangen. Den Urteilsgründen zufolge kommen die Richter nach der Abwägung der Interessen daher zum Ergebnis, dass die Beeinträchtigung des allgemeinen Persönlichkeitsrechts des Betroffenen durch ein Vorhalten älterer Beiträge im Internet in der Weise aufgefangen werden kann, dass ein unmittelbarer Zugriff auf diese Beiträge durch ihre Auffindbarkeit über eine bloße Eingabe des Namens des Betroffenen in eine Internet-Suchmaschine verhindert wird. In Anlehnung an die Störerhaftung ist eine entsprechende Sperrung durch den Verlag laut OLG erst nach einem entsprechenden Verlangen des Betroffenen erforderlich.

Dr. Renner weist darauf hin, dass der Bundesgerichtshof (BGH) einen Anspruch auf Löschung derartiger archivierter Berichte im Wesentlichen mit den Argumenten verneint, Geschichte dürfe nicht getilgt werden, und eine ständige Überprüfung der Archive sei nicht zumutbar (vgl. Meldung vom 8. Mai 2012 - BGH VI ZR 227/08 in ZUM 2010, 247 - veröffentlicht auf Beck Online). Nach Ansicht Renners trägt das OLG dem Rechnung, indem einerseits der Artikel abrufbar bleiben darf, andererseits eine Löschung aber nur auf Aufforderung erfolgen muss. Damit werde vor allem vermieden, dass jeder Nutzer, der nach den Namen des Betroffenen sucht, sofort auf die Straftat stoße. Dies entspreche zudem der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EUGH) vom Mai 2014 zum so genannten »Recht auf Vergessenwerden im Internet« (ZUM 2014, 559 - veröffentlicht auf Beck Online; vgl. auch Meldung vom 19. Mai 2014).

Jan Siegel, Justiziar des Spiegel Verlags und Spiegel Online, kritisiert in einem Blog auf »i.Rights info« vom 31. August 2015 das Urteil dahingehend, dass Online-Archive eine Entfernung des Links bei einer Namenssuche über Suchmaschinen technisch nicht leisten können und den entsprechenden Bericht damit komplett sperren müssen. Der EUGH hätte Google zwar dazu verurteilen können, dass bei einer bestimmten Namenssuche ein Suchergebnis zu einem archivierten Beitrag nicht angezeigt wird. Dem Betreiber einer Website sei es jedoch technisch nicht möglich, eine solche automatisierte Folge bei den Suchmaschinen auszulösen.

 

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[IUM/kr]

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