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07.02.2007; 11:16 Uhr
BGH-Urteil zu Beschränkungen des Persönlichkeitsrechts durch Sozialbindung des Individuums
Identifizierende Berichterstattung als Kritik an Leistungen des Betroffenen im Bereich des Wirtschaftslebens zulässig

Das allgemeine Persönlichkeitsrecht tritt aufgrund der Sozialbindung des Individuums dann hinter das Informationsinteresse der Öffentlichkeit zurück, wenn eine identifizierenden Berichterstattung durch Namensnennung sich im Bereich des Wirtschaftslebens als eine öffentliche Kritik an den Leistungen des Betroffenen darstellt. Steht der Vorrang des Informationsinteresses fest, obliegt die Entscheidung über die geographische Verbreitung der Berichterstattung allein der Presse. Dies entschied der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) in einem jetzt bekannt gewordenen Urteil vom 21. Novmber 2006 (Az. VI ZR 259/05 - Veröffentlichung in der ZUM folgt).

Der Kläger, Geschäftsführer eines Krankenhauses in der Region Niederlausitz (Brandenburg), hatte sich im Wege der Unterlassungsklage gegen eine identifizierende Berichterstattung der Beklagten, einer Presseagentur, gewandt. Die Beklagte hatte über ihren überregionalen Pressedienst Berlin-Brandenburg eine Meldung zur Verfügung gestellt, in der sie unter namentlicher Nennung des Klägers von dessen Abberufung als Geschäftsführer berichtete und als Grund hierfür das durch »Beleidigungen, massive Bedrohungen, Lügen, Verleumdungen und Diffamierungen« seitens des Klägers gestörte Verhältnis zu den Mitarbeitern der Klinik anführte. Der Kläger war zuvor nach einem medienwirksamen Skandal um die Abberufung seines Vorgängers angetreten und war dabei auch mit Interviews an die Öffentlichkeit getreten. Nachdem das Berufungsgericht dem Klageantrag des Klägers entsprochen hatte, hatte nun die hiergegen gerichtete Revision der Beklagten Erfolg.

Entgegen dem Berufungsgericht habe nach Ansicht des BGH das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die Pressefreiheit Vorrang gegenüber dem allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Klägers darauf, anonym zu bleiben und sich in der Öffentlichkeit nicht dargestellt zu sehen. Die Äußerungen der Beklagten hätten den Kläger in seiner Sozialsphäre betroffen; hier seien jedoch negative Sanktionen nur bei schwerwiegenden Auswirkungen auf das Persönlichkeitsrecht möglich, wie z. B. bei Stigmatisierungen, sozialer Ausgrenzung oder einer Prangerwirkung. Bezogen auf das berufliche Umfeld des Klägers sei er aber als Teilnehmer im Wirtschaftsleben von vornherein der Beobachtung einer breiteren Öffentlicheit ausgesetzt gewesen. Davon erfasst werde auch die namentliche Nennung im Zusammenhang mit Kritik an seinen Leistungen: »Insoweit drückt sich die Sozialbindung des Individuums in Beschränkungen seines Persönlichkeitsschutzes aus«. Im Streitfalle komme ergänzend hinzu, dass der Kläger bereits im Rahmen seines Dienstantritts über den lokalen Bereich hinaus mit Interviews an die Öffentlichkeit getreten sei, daher habe er es auch hinzunehmen, wenn auch seine Abberufung unter Namensnennung erfolge. Schließlich sei auch die überregionale Berichterstattung gerechtfertigt gewesen: Stehe ein grundsätzliches Informationsinteresse der Öffentlichkeit fest, so sei es in erster Linie Sache der Presse darüber zu entscheiden, in welchem geographischen Bereich sie ein öffentliches Interesse ihrer Leser an der Meldung erwarte. Dies gelte umso mehr, wenn - wie im vorliegenden Fall - die jeweiligen ansässigen Presseorgane darüber entscheiden, ob sie die von der Beklagten bereit gestellte Nachricht zur Veröffentlichung nach dem mutmaßlichen Interesse ihrer Leserschaft und ihrem Verbreitungsgebiet auswählen oder nicht.

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