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06.02.2008; 10:13 Uhr
Umfassender Abdruck von Grass-Briefen verletzt Veröffentlichungsrecht
Kammergericht: Keine Rechtfertigung durch Schranken des Urheber- oder Verfassungsrechts

Der umfassende Abdruck zweier Briefe von Günter Grass durch die »Frankfurter Allgemeine Zeitung« (FAZ) verletzt den Schriftsteller in seinem Veröffentlichungsrecht gem. § 12 UrhG und ist durch keine gesetzlichen oder verfassungsrechtlichen Schranken gerechtfertigt. Dies entschied das Kammergericht durch Urteil vom 27. November 2007 (ZUM 2008, 329, Heft 4).

Die »FAZ« hatte im Rahmen der Diskussion um die SS-Vergangenheit des Literaturnobelpreisträgers zwei Briefe veröffentlicht, die dieser 1969/70 an den damaligen Bundeswirtschaftsminister Karl Schiller gesandt und in denen er letzteren aufgefordert hatte, sich zu seiner NS-Vergangenheit zu äußern. Die Rechtsmittel der »FAZ« gegen die hiergegen von Grass beim Landgericht Berlin (LG Berlin) erwirkte und durch Urteil vom 23.1.2007 bestätigte einstweilige Verfügung auf Unterlassung blieben jedoch ohne Erfolg.

Das Kammergericht folgte dabei zunächst der Argumentation der Vorinstanz, wonach - insoweit unstreitig - der Abdruck der beiden streitgegenständlichen, urheberrechtlich geschützten Briefe den Antragsteller in seinem Veröffentlichungsrecht verletze, dem er auch nicht ausdrücklich oder konkludent zugestimmt habe und der - entgegen der Ansicht der Berufungsklägerin - auch nicht durch entsprechende Anwendung des § 51 UrhG gerechtfertigt sei. Denn dies würde die Grundlinien des Zitatrechts überschreiten, die auch im Interesse des Persönlichkeitsschutzes mit der Beschränkung auf veröffentlichte oder erschienene Werke gezogen seien. Darüber hinaus wendet sich das Kammergericht unter Verweis auf BGH-Rechtsprechung gegen die Ansicht, neben den Schranken der §§ 44 a ff. UrhG eine weitere, aus einer verfassungsrechtlichen Güter- und Interessenabwägung abgeleiteten Schranke zuzulassen, da diese Erwägungen allein zu einer, gegenüber dem Gesetzeswortlaut großzügigeren, Auslegung der Schrankenbestimmungen führen könnten (BGH ZUM 2003, 777, 778 f. - Gies-Adler).

Offen gelassen werden könne auch eine ausnahmsweise zuzugestehende Rechtfertigung wegen überragender Bedürfnisse der Meinungs- und Pressefreiheit, da diese zumindest im Falle der wie hier geschehenen umfassenden Wiedergabe der Briefe nicht vorliege. Denn auch sofern eine große zeitgeschichtliche Bedeutung nicht zu verkennen sei, stehe das Urheberpersönlichkeitsrecht, über die Veröffentlichung zu entscheiden, an erster Stelle, da es darum gehe, das Werk in den kulturellen Kommunikationskreislauf zu bringen. Anderenfalls werde der Berufungsbeklagte entgegen seines daraus fließenden »Geheimhaltungsinteresses« durch die streitgegenständliche Form der Veröffentlichung zum »Zeugen gegen sich selbst« gemacht, was insbesondere hinsichtlich des Tonfalls der Briefe in keinem unmittelbaren Zusammenhang zu dem jetzt diskutierten Gegenstand stehe.

Institutionen:

Zu diesem Thema:

  • Veröffentlichung privater Briefe in Tageszeitung, Urteil des Landgerichts Berlin vom 23. Januar 2007 - 16 O 908/06 - ZUM-RD 2007, 423-425 (Heft 8/9)
[IUM/hl]

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