Britische Zeitung lässt sich von Schröder nicht den Mund verbieten
Die britische Zeitung "Mail on Sunday" will sich von Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) nicht verbieten lassen, weiter über eine angebliche Ehekrise Schröders zu berichten. Das Blatt kündigte am 19.1.2003 an, eine auf Antrag Schröders Mitte Januar 2003 erlassene einstweilige Verfügung des Landgerichts Hamburg (LG) nicht beachten zu wollen. Die Pressekammer des LG hatte dem Herausgeber der "Mail on Sunday" die Wiederholung von insgesamt sechs Behauptungen über ein angebliches Verhältnis Schröders mit einer deutschen Fernsehmoderatorin untersagt und für den Fall der Zuwiderhandlung ein Ordnungsgeld bis zu 250.000 Euro angedroht. Die Zeitung sprach mit Blick auf die einstweilige Verfügung von einem "Aufplustern" Schröders ("blustering") und erklärte, die deutschen Gerichte hätten "kein Recht, uns zu sagen, was wir veröffentlichen können und was nicht". Wegen der "unterschiedlichen Tradition" und der "robusten Demokratie" in Großbritannien sei man überzeugt, "jedes Recht" zur Veröffentlichung zu haben. Abgesehen davon habe man den umstrittenen Bericht lediglich in Großbritannien veröffentlicht. Ihren deutschen Kollegen, die in ihrer Arbeit durch "unterdrückerische Gesetze" ("oppressive laws") beschränkt würden, sprach die "Mail on Sunday" in dem Artikel ihr Mitgefühl aus.
Die "Südwestpresse" und die "Märkische Oderzeitung" hatten bereits im Dezember 2002 über Gerüchte über eine angebliche Ehekrise Schröders berichtet. Anfang Januar 2003 wurden die Gerüchte von der britischen "Mail on Sunday" in einem zweiseitigen Beitrag aufgegriffen, über den wenig später die "Hannoversche Neue Presse", die "Westdeutsche Zeitung" und die "Westdeutsche Allgemeine Zeitung" ("WAZ") berichteten. Die "WAZ" hat sich für ihren Bericht mittlerweile entschuldigt, gegen "Südwestpresse" und die "Märkische Oderzeitung" hatte Schröder unmittelbar nach Veröffentlichung einstweilige Verfügungen erwirkt. Auf Kritik gestoßen ist das harte Vorgehen des Bundeskanzlers beim Deutschen Journalisten-Verband (DJV). Der Vorsitzende des DJV, Rolf Lautenbach, meinte Anfang Januar 2003, Schröder müsse sich als selbst ernannter "Medienkanzler" mit besonderen Maßstäben messen lassen. Wenn an dem Verhalten einer Person ein öffentliches Interesse bestehe, müsse darüber im Einzelfall auch berichtet werden können. Die Entscheidung des Bundeskanzlers, gegen die umstrittenen Berichte rechtlich vorzugehen, bezeichnete Lautenbach als "falsch". Der DJV-Vorsitzende warnte, Schröder habe sich bereits im Zusammenhang mit dem Rechtsstreit über seine angeblich gefärbten Haare "der Lächerlichkeit preisgegeben".
Die gerichtliche Zuständigkeit bei grenzüberschreitenden Verletzungen des Persönlichkeitsrecht ist in der Europäischen Union (EU) bisher nicht einheitlich geregelt. Die Europäische Kommission (Kommission) hat Anfang 2002 einen Vorschlag für eine Neuregelung des internationalen Privatrechts auf dem Gebiet außervertraglicher Schuldverhältnisse vorgelegt, der sich mit der Frage befasst. Nach dem Entwurf soll bei Persönlichkeitsrechts- und Ehrverletzungen durch die Presse in Zukunft in der gesamten EU einheitlich stets das Recht des Wohnsitzes des Verletzten zur Anwendung kommen. Der Verband Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und der Europäische Verband der Zeitschriftenverleger (FAEP) haben wiederholt gewarnt, durch die so genannte "Rom II-Verordnung" drohe Gefahr für die Pressefreiheit. Der Vorschlag der Kommission sei in seinem Ansatz verfehlt, nicht ausreichend durchdacht, in Teilen willkürlich und ein "radikaler Bruch" mit in allen Mitgliedsstaaten der EU anerkannten Rechtsgrundsätzen. Es könne beispielsweise nicht sein, dass eine deutsche Zeitschrift, die über den irakischen Diktator Saddam Hussein berichte, zukünftig dem irakischen Recht über Persönlichkeitsverletzungen unterliege. Nach Darstellung des VDZ hat die Kommission auf einer Anhörung Anfang Januar 2003 in Brüssel inzwischen angedeutet, sie könne sich vorstellen, die Vorschrift über Pressedelikte aus dem Verordnungsentwurf zu streichen.
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