mobiles Menü Institut für Urheber- und Medienrecht
30.09.2002; 17:10 Uhr
EU-Parlament fordert von Brüssel Aktionsplan für digitales Fernsehen
Mitgliedsstaaten sollen zu Benutzung "offener Standards" ermutigen - Plädoyer für MHP

Das Europäische Parlament fordert mehr Nachdruck bei der Einführung des digitalen Fernsehens in der Europäischen Union (EU). Die Europäische Kommission (Kommission) solle so schnell wie möglich, spätestens aber bis Ende des Jahres einen entsprechenden Aktionsplan vorlegen, forderten die Abgeordneten am 26.9.2002 in einer Entschließung (Dok-Nr. B5-0488/2002). Geht es nach dem Parlament, soll die Kommission schon bald einen klaren Zeitplan für die erforderlichen Schritte vorlegen. Klarheit wollen die Abgeordneten vor allem bei der Frage, mit welchen Maßnahmen Kommission und EU-Mitgliedsstaaten zur Nutzung offener Standards beim Aufbau des digitalen Fernsehens ermutigen wollen. Nach Auffassung der Parlamentarier kommt als Grundlage neuer digitaler Angebote zur Zeit nur die sogenannte Multimedia Home Platform (MHP) in Frage. Nur MHP könne einen offenen Netzzugang gewährleisten, meinten die Parlamentarier.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten, die privaten Rundfunkunternehmen und die Landesmedienanstalten begrüßten die Entschließung des Parlaments. "Das ist eine gute Entscheidung für die Zukunft des digitalen Fernsehens in Europa", meinte der ARD-Vorsitzende Fritz Pleitgen. Durch den Beschluss werde die Forderung von Fernsehveranstaltern und Landesmedienanstalten unterstützt, für Programmanbieter, Gerätehersteller und Verbraucher Klarheit und Sicherheit beim Fernsehen der Zukunft zu schaffen. Pleitgen zeigte sich zuversichtlich, "dass wir nun endlich die Stagnation im digitalen Fernsehen überwinden werden". Auch RTL-Geschäftsführer Gerhard Zeiler zeigte sich erfreut über den Beschluss. Mit der politischen Entscheidung für MHP würden die Entwicklungschancen des Digitalfernsehens im Interesse von Nutzern und Anbietern verbessert. Für die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) erklärte deren Vorsitzender Norbert Schneider, das Parlament habe einen "weisen Beschluss" gefasst. Ein offener Standard stelle Wettbewerb und Vielfalt im digitalen Fernsehmarkt sicher.

Die Kommission hat sich in der Vergangenheit bereits mehrfach für die Verwendung von MHP beim Aufbau des digitalen Fernsehens in der EU ausgesprochen. Der für die Entwicklung der Informationsgesellschaft zuständige Kommissar Erkki Liikanen hatte erst Mitte Juli 2002 angedeutet, dass Brüssel den digitalen Fernsehstandard auch verbindlich vorschreiben könne, falls sich herausstellen sollte, dass die Märkte der Wahlfreiheit der Verbraucher und der Interoperabilität neuer Angebote nicht ausreichend Rechnung tragen würden. Als Zeitpunkt für eine erste Beurteilung dieser Frage nannte Liikanen damals allerdings das Jahr 2004.

Nach Auffassung des rheinland-pfälzischen Ministerpräsidenten Kurt Beck (SPD) ist die Verwendung von MHP in Deutschland bereits nach geltendem Recht verbindlich vorgeschrieben. Beck beruft sich auf ein seit Anfang 2002 vorliegendes Gutachten des Mainzer Medienrechtlers Dieter Dörr. Der Professor kommt in seiner Untersuchung zu dem Schluss, dass nach gegenwärtigem technischen Stand MHP die einzige europaweit anerkannte Schnittstelle ist, die die einschlägigen Anforderungen des Rundfunkstaatsvertrags (RfStV) erfüllt. Dörr verweist vor allem auf die Regelung des Paragraf 53 des RfStV. Nach dieser Vorschrift müssen die Betreiber von Zugangsdiensten allen Rundfunkveranstaltern chancengleichen, nichtdiskriminierenden Zugang zu angemessenen Bedingungen gewähren. Dieser Zugang ist nach dem RfStV nur dann gegeben, wenn die zur Nutzung der Dienste erforderlichen Dekoder über "zugangsoffene Schnittstellen" verfügen, die dem Stand der Technik und einheitlichen europäischen Standards entsprechen.

ARD, ZDF, RTL, die Kirchgruppe und die Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten (DLM) haben sich bereits Mitte September 2001 auf MHP als einheitlichen, anbieterunabhängigen Standard für den Aufbau des digitalen Fernsehens in Deutschland geeinigt. Der Einsatz der MHP-Schnittstelle wäre Voraussetzung dafür, dass in Zukunft außer den Netzbetreibern auch andere Unternehmen die Kabelnetze für neue digitale Dienste ohne Einschränkungen nutzen könnten. Vor allem die Landesmedienanstalten drängen deshalb seit längerem darauf, beim Ausbau der Kabelnetze auf MHP zu setzen. Streit über den digitalen Fernsehstandard gab es vor allem im Zusammenhang mit dem geplanten Verkauf von sechs regionalen Kabelnetzen der Deutschen Telekom AG an Liberty Media. Das US-Unternehmen hatte vorübergehend angekündigt, beim Netzausbau aus Kostengründen auf die Verwendung von MHP verzichten zu wollen. Später hatte es sich mit dem Einsatz von MHP einverstanden erklärt, aber eine Übernahme der dadurch entstehenden Mehrkosten durch die deutsche Fernsehwirtschaft verlangt.

Dokumente:

Institutionen:

[IUM/jz]

Permanenter Link zu dieser News Nr. 854:

https://www.urheberrecht.org/news/854/


Zurück zur Liste


Der kostenlose Service unserer Online-Redaktion.

Das IUM dokumentiert die politischen und rechtlichen Entwicklungen aus dem Bereich des Urheber- und Medienrechts und gibt einen tagesaktuellen Newsletter heraus. Dieser informiert über neue Gerichtsentscheidungen und laufende Gesetzgebungsverfahren und ist dabei dem Gebot strikter Neutralität verpflichtet. Fördermitglieder erhalten den Newsletter vorab per E-Mail. Sein Inhalt wird hier dokumentiert.

Hier können Sie sich für den IUM Newsletter anmelden!

Gerne schicken wir Ihnen auch alle aktuellen Informationen per Mail.