Frankreich wegen Verletzung der Pressefreiheit zu Schadensersatz verurteilt
Die französische Republik muss wegen Verletzung der Pressefreiheit durch seine Gerichte der Tageszeitung "Le Monde" mehrere Tausend Euro Schadensersatz zahlen. Das entschied am 25.6.2002 einstimmig der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (Az. 51279/99). Im Fall hatte ein Redakteur der "Le Monde" in einem Artikel vom November 1995 das Land Marokko als "weltweit führenden Exporteur von Haschisch" bezeichnet. In dem Bericht wurde die angebliche Entschlossenheit der marokkanischen Behörden im Kampf gegen den zunehmenden Drogenhandel in Frage gestellt. Angezweifelt wurde in diesem Zusammenhang auch die Rolle des marokkanischen Königs Hassan II. Der Verfasser berief sich unter anderem auf einen vertraulichen Bericht entsprechenden Inhalts, der im Auftrag der Europäischen Kommission (Kommission) verfasst worden war. Der marokkanische König stellte daraufhin bereits wenige Wochen nach Erscheinen des Artikels Strafanzeige bei den französischen Behörden. Nachdem der Redakteur und der zuständige Chefredakteur in erster Instanz noch freigesprochen worden waren, verurteilte sie ein Pariser Berufungsgericht wegen Beleidigung eines ausländischen Staatsoberhaupts zu einer Geldstrafe von 5000 Francs und 10.000 Francs Schadensersatz. Die Revision gegen diese Entscheidung blieb ohne Erfolg.
Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte kam in seinem Urteil zu dem Schluss, dass die Entscheidungen der französischen Gerichte gegen die Pressefreiheit nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention verstießen. Die französische Justiz habe zwar den Ruf eines Einzelnen gegen Verleumdung schützen wollen und damit einen legitimen Zweck verfolgt. Die dafür vorgenommenen Maßnahmen ständen aber in keinem vernünftigen Verhältnis zu der damit verbundenen Einschränkung der Pressefreiheit. Die Straßburger Richter erklärten, die öffentliche Meinung in Frankreich hätte ein legitimes Interesse daran gehabt, zu erfahren, was die Ermittlungen der Kommission zu Ausmaß und Ursachen des Drogenhandels in Marokko ergeben hätten. Das gelte um so mehr, als dieses Land um Beitritt zur Europäischen Union (EU) ersucht habe. Der "Le Monde" sei nicht zum Vorwurf zu machen, dass sie sich bei ihrem Artikel auf den Bericht verlassen habe, der im Auftrag der Kommission erstellt worden sei. Die Richter meinten, auf amtliche Berichte dürfe sich die Presse regelmäßig verlassen, ohne eigene Nachforschungen anzustellen. Kritik äußerte der Gerichtshof auch am französischen Prozessrecht. Anders als in gewöhnlichen Verleumdungsprozessen schneide es Angeklagten bei der Beleidigung fremder Staatsoberhäupter die Möglichkeit ab, die Wahrheit ehrenrühriger Behauptungen zu beweisen. Für eine solche Regelung gebe es keinen zwingenden Grund, meinten die Richter.
Dokumente:
- Pressemitteilung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte vom 26.6.2002
- Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) v. 21.9.1970 i. d. F. v. 1.11.1998
Institutionen:
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