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18.04.2002; 18:05 Uhr
US-Supreme Court erklärt "virtuelle" Kinderpornografie für zulässig
Child Pornography Prevention Act für verfassungswidrig erklärt

Das Herstellen, Verbreiten oder Besitzen von "virtueller Kinderpornografie", bei deren Entstehung keine echten Kinder an sexuellen Handlungen beteiligt sind, darf vom US-amerikanischen Gesetzgeber nicht unter Strafe gestellt werden. Den U. S. Child Pornography Prevention Act (CPPA) aus dem Jahr 1996, der entsprechende Regelungen enthielt, erklärte der US-Supreme Court am 16.4.2002 mehrheitlich für verfassungswidrig. Das Gesetz stelle Darstellungen unter Strafe, bei deren Herstellung es zu keinen Rechtsverletzungen komme, erklärten die Richter. Dass damit bereits die bildliche Darstellung einer Idee strafbar werde, sei unvereinbar mit dem von der US-Verfassung geschützten Recht auf freie Meinungsäußerung. Vermutlich verfassungswidrig sind damit wahrscheinlich auch entsprechende Gesetze in knapp einem Dutzend US-Bundesstaaten. Dort sind Regelungen verabschiedet worden, nach denen auch die Verbreitung von computergenerierter Kinderpornografie strafbar ist. Die Reaktionen auf das Urteil waren zwiespältig. US-Generalstaatsanwalt John Ashcroft bedauerte, die Verfolgung "echter" Kinderpornografie werde durch den Richterspruch "unermesslich schwieriger". Rechtsanwälte der US-Filmindustrie begrüßten die Entscheidung dagegen. Sie könnte eine weitverbreitete "Selbstzensur" in der Filmwirtschaft beenden.

Die Richter begründeten ihr Votum mehrheitlich damit, die Beteiligung von Kindern und Jugendlichen an sexuellen Aktivitäten sei eine Tatsache der modernen Gesellschaft und sei seit Jahrhunderten ein Thema in Kunst und Literatur. Falls die Darstellung entsprechender Ideen unter Strafe gestellt werde, sei zu befürchten, dass das auch die Entstehung von Werken von klarem künstlerischem oder literarischem Wert verhindere. Der US-Supreme Court verwies darauf, auch die Julia des Dichters William Shakespeare sei nur 13 Jahre alt gewesen. Die Produzenten jeder zeitgenössischen Verfilmung des Stückes wären deshalb in Gefahr gelaufen, sich strafbar zu machen. Gleiches gelte auch für mit mehreren "Oscars" ausgezeichneten Filme wie "American Beauty" und "Traffic", die ebenfalls Jugendliche in expliziten sexuellen Situationen darstellten. Nicht zu beanstanden wäre es gewesen, wenn das Gesetz sich darauf beschränkt hätte, "Obszönität" ("obscenity") zu verbieten. Das sei aber gerade nicht geschehen. Statt dessen habe das Gesetz ausdrücklich jede bildliche Darstellung unter Strafe gestellt, die einen Minderjährigen bei der Beteiligung an sexuellen Handlungen darstelle oder diesen Eindruck erwecke. Das sei unverhältnismäßig. Drei Richter setzen sich in einem Minderheitsvotum von dieser Meinung ab. Sie sprachen sich für eine engere Auslegung des Gesetzes aus. Es sei einschränkend dahin zu verstehen, dass es nur Darstellungen erfassen solle, die von "echter" Kinderpornografie nicht zu unterscheiden seien.

Das Urteil ist ein heftiger Rückschlag für die Befürworter des CPPA. Vertreter der US-Regierung hatten vor Gericht damit argumentiert, "virtuelle" Kinderpornografie gefährde Kinder, weil es auf dem Markt den Bedarf nach "echter" Kinderpornografie stärke. Außerdem ermutige es diejenigen, die aus der sexuellen Ausbeutung von Kindern Geld schlügen. Die Richter wiesen diese Argumente mehrheitlich ausdrücklich zurück. Zum einen habe die US-Regierung nur einen sehr entfernten Zusammenhang zwischen der Darstellung "virtueller" Kinderpornografie und daraus resultierendem Kindesmissbrauch dargelegt. Zum anderen sei selbst die Tatsache, dass eine Meinungsäußerung rechtswidrige Akte fördere, noch kein Grund, sie zu verbieten. Die Richter meinten, die Grundrechte seien immer dann am meisten in Gefahr, wenn die Regierung versuche, "die Gedanken zu kontrollieren". Das sei hier aber der Fall. "The right to think is the beginning of freedom, and speech must be protected from the government because speech is the beginning of thought", schrieb Richter Anthony Kennedy für das Mehrheitsvotum.

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[IUM/jz]

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