US-Videorekorder-Hersteller soll Nutzer auf Urheberrechtsverletzungen überwachen
Der US-amerikanischer Hersteller eines digitalen Videorekorders soll die Nutzung seines Geräts durch seine Kunden auf Urheberrechtsverletzungen überwachen. Ein US-Bezirksgericht in Los Angeles verurteilte Anfang Mai 2002 das Unternehmen Sonicblue, genaue Angaben darüber zu machen, welche Sendungen die Nutzer des Videorekorders aufzeichnen, ob sie dabei Werbeblöcke überspringen und ob sie die aufgenommenen Sendungen anschließend über das Internet versenden. Eine entsprechende Protokollierungssoftware soll die Firma aus dem kalifornischen Santa Clara innerhalb von 60 Tagen entwickeln. Verklagt worden war Sonicblue von einer Reihe von US-amerikanischen Fernsehsendern und Filmstudios. Die Unternehmen behaupten, die digitalen Videorekorder ermöglichten Urheberrechtsverletzungen "in beispiellosem Umfang". US-Bürgerrechtler sprachen im Zusammenhang mit dem Urteil von einem "gerichtlich angeordneten Eindringen in die Privatsphäre". Das unterlege Unternehmen kündigte an, gegen die Entscheidung Berufung einzulegen.
Sonicblue bezeichnete das Urteil in einer ersten Stellungnahme als "beispiellos". Der Geschäftsführer des Unternehmens, Ken Potashner, erklärte, die Entscheidung zwinge die Firma dazu, ihre eigenen Kunden auszuspionieren. Eine Sprecherin der Electronic Frontier Foundation (EFF) kritisierte das Urteil als "unglaubliches Eindringen in die Privatsphäre der Nutzer". Ein Vertreter der Privacy Foundation meinte, der Richterspruch sei am ehesten damit zu vergleichen, dass die Musikindustrie die Firma Microsoft dazu zwinge, die Postfächer von Nutzern seines E-Mail-Programms "Outlook" auf MP3-Dateien zu durchsuchen. Vertreter der Kläger wiesen diese Vorwürfe zurück. Eine Sprecherin der Walt Disney Corporation sprach von einer "völlig irreführende Darstellung des Urteils". Sie betonte, Sonicblue sei nur zur Ablieferung anonymisierter Daten verpflichtet worden. Den klagenden Unternehmen gehe es nicht darum, die Rechtsverletzungen einzelnen Nutzern zuzuordnen. Man wolle nur die Urheberrechts und damit den Lebensunterhalt aller an der Verwertung Beteiligten sichern.
Sonicblue hat den umstrittenen digitalen Videorekorder erstmals im September 2001 in größeren Stückzahlen in den Handel gebracht. Das Geräte mit der Bezeichnung "ReplayTV 4000 DVR" ist in der Lage, Fernsehsendungen von einer Dauer bis zu 320 Stunden digital auf einer eingebauten Festplatte aufzuzeichnen. Anschließend können die Aufnahmen über einen integrierten Internetanschluss per E-Mail verschickt werden. Der Videorekorder lässt sich außerdem so einstellen, dass er selbsttätig Werbesendungen im Fernsehprogramm entdeckt und kennzeichnet. Bei der Wiedergabe der Aufnahmen können die Werbeblöcke vom Betrachter entweder übersprungen oder gelöscht werden. Sonicblue hatte das Gerät, das bisher nur in den USA erhältlich ist, zunächst selbst über das Internet vertrieben. Seit März 2002 ist der "ReplayTV 4000 DVR" aber auch bei dem beliebten Internethändler Amazon im Angebot. Nach US-Branchenschätzungen hat Sonicblue im letzten Quartal des vergangenen Jahres etwa 3000 bis 5000 Geräte verkauft. Leistungsfähigere Nachfolgemodelle sind in Entwicklung.
Nach Auffassung der Kläger verstößt der Vertrieb der digitalen Videorekorder gegen den U. S. Copyright Act und den U. S. Communications Act. Die Sender beklagen, die Geräte versetzten die Verbraucher in die Lage und ermutigten sie geradezu dazu, unberechtigte digitale Vervielfältigungen urheberrechtlich geschützter Fernsehprogramme anzufertigen und anschließend über Hochgeschwindigkeitsanschlüsse über das Internet zu verschicken. Das gehe weiter über das hinaus, was die amerikanischen Gerichte im Zusammenhang mit analogen Videorekordern als "angemessene Nutzung" ("fair use") anerkannt habe. Der U. S. Supreme Court hatte im Jahr 1984 entschieden, dass das private Aufzeichnen von Fernsehsendungen zum Zweck des zeitversetzten Betrachtens ("time shifting") als angemessener eigener Gebrauch erlaubnisfrei sei. Die Sender meinen, mit den neuen, internetfähigen digitalen Geräten erreichten die Aufzeichnungen eine völlig neue Qualität. So sei zu befürchten, dass durch die neuen technischen Möglichkeiten Bezahlfernsehangebote stark unterlaufen würden. Im Zusammenhang mit der Ausblendung von Werbesendungen warnen die Unternehmen, die dazugehörigen Erlöse seien eine wesentliche und oft genug die einzige Einnahmequelle der Fernsehsender.
Sonicblue verwahrt sich gegen die Vorwürfe und weist darauf hin, man habe dafür Sorge getragen, dass die neuen Geräte nicht zu einem neuen "Napster" auf dem Fernsehmarkt führen würden. Die neuen Rekorder erleichterten den Verbrauchern nur das, was diese ohnehin schon täten. Die Entscheidung, mitgesendete Werbung nicht anzusehen, bleibe in jedem Einzelfall den Benutzern der Geräte überlassen. Wenn sie sich entschieden, Werbeblöcke zu überspringen, sei das nichts anderes als die Benutzung der Vorspultaste bei herkömmlichen Videorekordern. Das aufgezeichnete Sendungen in großem Umfang über das Internet verbreitet würden, sei nicht zu erwarten. Zum einen seien sehr wenig Anschlüsse vorhanden, die dafür schnell genug seien. Zum anderen würden die meisten Provider den Versand entsprechender Dateien wegen derer erheblichen Größe ohnehin nicht zulassen. Sonicblue weist außerdem darauf hin, die umstrittenen Geräte seien so eingestellt, dass einzelne Sendungen höchstens 15 Mal verschickt werden könnten. Zusätzlich seien die Rekorder vorbereitet für digitales Rechtemanagement (DRM).
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