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26.02.2002; 19:31 Uhr
Österreich wegen Verletzung der Pressefreiheit zu Schadensersatz verurteilt
Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte

Die Republik Österreich muss wegen Verletzung der Pressefreiheit durch seine Gerichte einem österreichischen Verlag mehrere Tausend Euro Schadensersatz zahlen. Das entschied am 26.2.2002 einstimmig der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg (Az. 28525/95). Im Fall hatte eine österreichische Bürgerrechtsorganisation im Dezember 1992 ein Flugblatt veröffentlicht, die eine Wandzeitung dokumentierte, in der der Freiheitlichen Partei Österreichs (FPÖ) "Rassismus" und "rassistische Agitation" vorgeworfen wurde. Vorausgegangen war ein öffentlicher Beschluss der FPÖ, landesweit eine Volksbefragung unter dem Titel "Österreich zuerst" durchzuführen. Die Partei setze sich darin unter anderem dafür ein, die Einwanderung nach Österreich zu beenden und alle ausländischen Arbeitnehmer zum Tragen von Ausweisen zu verpflichten. Außerdem sollten in den Schulen eigene Ausländerklassen eingerichtet werden, wenn der Anteil der Schüler, deren Muttersprache nicht deutsch war, in einer Klasse 30 Prozent überstieg. Daneben machte sich die FPÖ dafür stark, Ausländern das Wahlrecht abzuerkennen. Nach dem Erscheinen des Flugblattes hatte der Vorsitzende der FPÖ, Jörg Haider, im Februar 1993 Unterlassungsklage gegen die Herausgeber erhoben.

Die Bürgerrechtler beriefen sich darauf, sie hätten sich den Inhalt der abgedruckten Wandzeitung nie zu eigen gemacht. Außerdem handele es sich beim Vorwurf "rassistischer Agitation" nicht um eine Tatsachenbehauptung, sondern um ein Werturteil. Das Flugblatt müsse als kritische Auseinandersetzung mit der Volksbefragung verstanden werden. Vor Gericht konnten sich die Herausgeber mit dieser Auffassung allerdings nicht durchsetzen. Das Wiener Handelsgericht entschied im April 1994, bei den umstrittenen Äußerungen handele es sich um Tatsachenbehauptungen. Eine Berufung gegen das Urteil blieb ohne Erfolg. Der Europäische Gerichtshofs für Menschenrechte stellte sich nun dagegen auf die Seite der Herausgeber des Flugblattes. Die Straßburger Richter entschieden, die Vorwürfe müssten im politischen Zusammenhang mit der Volksbefragung gesehen werden. Sie seien deshalb nicht als Tatsachenbehauptung, sondern als Meinungsäußerung zu sehen. Die Urteile der österreichischen Gerichte kritisierte der Gerichtshof deshalb als "unverhältnismäßig". Sie verletzten das Recht auf Meinungsfreiheit nach Artikel 10 der Europäischen Menschenrechtskonvention (EMRK).

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