Kritik an US-Urheberrecht nach Verhaftung eines russischen Programmiers
Die Verhaftung eines russischen Programmierers in den USA wegen eines Vortrags über die Entschlüsselung von Kopierschutzmechanismen hat zu heftiger Kritik am geltenden US-Urheberrecht geführt. Bürgerrechtler setzen sich für eine Freilassung des Russen ein, der ihrer Meinung nach auf Grund eines verfassungswidrigen Gesetzes festgehalten wird. Nach lautstarken Protesten gegen die Festnahme werden inzwischen auch im Kongress vereinzelt Forderungen nach einer Gesetzesänderung laut. Aller Voraussicht nach werden die Gerichte entscheiden müssen, ob die einschlägigen Bestimmungen des U. S. Copyright Act, die die Verbreitung von Vorrichtungen zur Entfernung von Kopierschutzvorrichtungen unter Strafe stellen, vereinbar mit dem Recht auf freie Meinungsäußerung sind.
Der russische Programmierer Dmitry Sklyarov hatte Mitte Juli in Las Vegas auf dem Kongress "Def Con" Forschungsergebnisse zur Entschlüsselung von Adobes "e-Book"-Format vorgestellt. Nach einer Beschwerde des Unternehmens wurde Sklyarov daraufhin am 16.7.2001 von Beamten des Federal Bureau of Investigations (FBI) festgenommen. Die Strafverfolgungsbehörden werfen dem 27jährigen Familienvater einen Verstoß gegen Bestimmungen des Digital Millenium Copyright Act (DMCA) vor, durch den das US-Urheberrecht im Jahr 1998 umfangreich geändert wurde. Im Fall einer Verurteilung drohen dem Angestellten des Moskauer Unternehmens ElcomSoft bis zu fünf Jahre Haft oder 500.000 US-Dollar Geldstrafe.
Inzwischen setzen sich zahlreiche US-Bürgerrechtler für eine Freilassung von Sklyarov ein. Der Electronic Frontier Foundation (EFF) gelang es, Adobe von seinem harten Kurs gegenüber dem Programmierer abzubringen. Unter dem Eindruck wachsenden öffentlichen Drucks forderte das Unternehmen am 23.7.2001 in einer gemeinsamen Erklärung mit der EFF, den Russen wieder freizulassen und die straftrechtlichen Ermittlungen gegen ihn einzustellen. Die Forderungen blieben aber erfolglos. Wegen angeblicher Fluchtgefahr lehnten die Strafverfolgungsbehörden auch eine Außervollzugsetzung des Haftbefehls gegen Sicherheitsleistung ab.
Im Kongress wurden unterdessen vereinzelt Stimmen laut, die sich für eine Änderung des geltenden US-Urheberrechts einsetzen. Der Abgeordnete Rick Boucher (Demokraten) forderte, im Gesetz müsse klargestellt werden, dass eine Umgehung von Kopierschutzmechanismen nur dann strafbar sein solle, wenn ihr Hauptzweck die Verletzung von Urheberrechten sei. Im Zusammenhang mit der Verhaftung von Sklyarov sprach Boucher, der sich schon in der Vergangenheit als Kritiker des DMCA profiliert hat, von einem "Mißbrauch" des Gesetzes. Sklyarovs Arbeit könne auch zu legitimen Zwecken genutz werden, beispielsweise, um ein elektronisches Buch zur privaten Nutzung von einem Gerät auf ein anderes zu übertragen. Boucher meinte wörtlich: "Dieses Gesetz ging zu weit. Es ist Zeit, wieder ein Gleichgewicht herzustellen."
Rechtlich hat die Verhaftung von Sklyarov große Ähnlichkeit mit dem Fall des Princeton-Professors Edward Felten. Der Forscher hatte Anfang des Jahres gemeinsam mit Kollegen von der Rice University vier Verfahren zur Kennzeichnung von Musik mit digitalen Wasserzeichen entschlüsselt. Die Ergebnisse seiner Arbeit wollte Felten im April 2001 auf einem Kongress in Pittsburg vorstellen. Nachdem die US-Musikindustrie von ihm verlangt hatte, bestimmte Abschnitte seines Vortrags zu streichen, erhob Felten Anfang Juni 2001 Klage gegen die Recording Industry Association of America (RIAA). Der Wissenschaftler will gerichtlich sein Recht feststellen lassen, seine Forschungsergebnisse zu zu veröffentlichen. Die Regelungen des DMCA, die dieses Recht einschränken, hält Felten für verfassungswidrig.
Entscheidend ist im Fall Felten wie im Fall Sklyarov Abschnitt 1201 des U. S. Copyright Act. Die Verbreitung von Mitteln zur Umgehung von Kopierschutzmechanismen ist nach dieser Vorschrift grundsätzlich untersagt. Veröffentlichungen zu wissenschaftlichen Zwecken lässt das Gesetz nur ausnahmsweise und nur unter nähere geregelten Voraussetzungen zu. Unter anderem muss der betroffene Forscher das geschützte Werk rechtmäßig erlangt haben und die Veröffentlichung zu Zwecken der Forschung erforderlich sein. Außerdem stellt das Gesetz darauf ab, ob der Forscher die Ergebnisse seiner Arbeit dem Rechteinhaber zur Verfügung stellt, um diesem eine Verbesserung der Kopierschutzmechanismen zu ermöglichen. In die Kritik geraten sind diese Regelungen nicht nur, weil sie die Meinungsfreiheit einschränken. Fachleute warnen, die Vorschriften seien auch innovationsfeindlich, weil sie die Diskussion über mögliche Verbesserungen verhinderten. Außerdem ermöglichten sie es Unternehmen, Sicherheitslücken in ihren Produkten zu verheimlichen.
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