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25.03.2003; 16:53 Uhr
BVerfG bestätigt erneut Zulässigkeit der "Schock-Werbung" von Benetton
"BGH verkennt Reichweite der Menschenwürde als Schranke der Meinungsfreiheit"

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat erneut die wettbewerbsrechtliche Zulässigkeit der sogenannten "Schock-Werbung" des Bekleidungsherstellers Benetton bestätigt. Der erste Senat des Gerichts unter seinem Vorsitzenden Jürgen Papier hob am 11.3.2003 ein anderslautendes Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) vom 6.12.2001 auf (Az. 1 BvR 426/02). Die erneute Entscheidung des BVerfG war erforderlich geworden, nachdem der BGH die Werbung trotz einer entgegenstehenden Entscheidung des BVerfG nochmals für unzulässig erklärt hatte. Damit habe der BGH erneut die Pressefreiheit verletzt, meinten die Verfassungsrichter. Der BGH habe die Reichweite der Menschenwürde als Schranke der Meinungsfreiheit im Wettbewerbsrecht verkannt.

Im Fall hatte der "Stern" für Benetton eine Werbeanzeige veröffentlicht. Die Anzeige zeigte im Ausschnitt in Rückenansicht ein nacktes menschliches Gesäß, auf das in Art eines Stempels die Worte "H.I.V. Positive" aufgedruckt waren. Rechts darunter war am unteren Bildrand in kleinerer, weißer Schrift der Schriftzug "United Colors of Benetton" abgebildet. Nach Abdruck der Anzeige war der "Stern" von der Zentrale zur Bekämpfung unlauteren Wettbewerbs erfolgreich auf Unterlassung verklagt worden. Die Revision des "Stern" gegen die Entscheidung blieb erfolglos. Der BGH hielt die Anzeige für wettbewerbswidrig, weil sie die durch das dargestellte Leid ausgelöste Mitleidsgefühl der Verbraucher für Wettbewerbszwecke ausnutze. Außerdem verletze die Darstellung die Menschenwürde H.I.V.-Infizierter, weil sie sie als stigmatisiert und ausgegrenzt darstelle.

Auf eine Verfassungsbeschwerde des "Stern" hin hatte das BVerfG diese erste Entscheidung des BGH aufgehoben und zur erneuten Beratung und Entscheidung zurückverwiesen. Die Verfassungsrichter rügten, die Deutung der Anzeige, mit der der BGH eine Verletzung der Menschenwürde begründet habe, sei nicht naheliegend gewesen. Der BGH habe es versäumt, sich mit einem sozialkritischen Verständnis der Anzeige auseinanderzusetzen, was wesentlich näher liege. Trotz dieser Mahnung wies der BGH die Revision nach erneuter Beratung nochmals zurück. Die Richter meinten, die weit überwiegende Zahl der AIDS-Kranken würde es zu Recht als menschenverachtend empfinden, dass sich ein Unternehmen durch die Ausnutzung der öffentlichen Aufmerksamkeit für AIDS-Erkrankungen geschäftsfördernd ins Gespräch bringen wolle.

Der "Stern" hatte auch gegen diese Entscheidung des BGH Verfassungsbeschwerde eingelegt. Die Zeitschrift beklagte, der BGH habe ihre Prüfungspflichten in einer mit der Pressefreiheit nicht vereinbaren Weise überdehnt. Um das tägliche Anzeigengeschäft nicht unzumutbar zu erschweren, könne eine wettbewerbsrechtliche Pressehaftung nur bei grob und unschwer erkennbarer Wettbewerbswidrigkeit bejaht werden. Der BGH schließe aus seiner eigenen Missbilligung der Anzeige, dass deren Verständnis als zynisch und menschenverachtend sich dem "Stern" habe aufdrängen müssen, obwohl das BVerfG entschieden habe, dass ein harmloses Verständnis im Sinne einer Sozialkritik mindestens ebenso nahe liegend sei. Außerdem sei der BGH die Begründung dafür schuldig geblieben, weshalb die Abbildung zu einer Gefährdung des Leistungswettbewerbs führe.

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