AOL Deutschland wegen Musikpiraterie zu Schadensersatz verurteilt
Der Internet-Provider America Online Deutschland (AOL Deutschland) ist in einer am 8.3.2001 verkündeten Entscheidung des Oberlandesgerichts München (OLG) wegen Urheberrechtsverletzungen seiner Kunden dem Grunde nach zu Schadensersatz verurteilt worden. Das Gericht vertrat dabei entgegen der bisher in der Literatur vorherrschenden Auffassung die Meinung, die Haftungsprivilegierungen des deutschen Teledienstegesetzes (TDG) führten nicht dazu, das Urheber Verletzungen ihrer Rechte in Datennetzen sanktionslos hinnehmen müssten. Das Urteil bestätigt eine Entscheidung des Landgerichts München I (LG) vom März 2000. AOL Deutschland hat bereits angekündigt, die Möglichkeit einer Revision zum Bundesgerichtshof (BGH) zu prüfen.
Verklagt worden war AOL Deutschland von einem Karlsruher Anbieter von Musikdateien, die von AOL-Kunden im Jahr 1997 in einem inzwischen gelöschten Forum des Internet-Providers unberechtigt zum Herunterladen angeboten worden waren. AOL Deutschland hatte die angebotenen Dateien, die beim Hochladen nur oberflächlich auf eine Verletzung von Urheberrechten geprüft wurden, nach Klageerhebung sofort gelöscht. Die deutsche Tochter des amerikanischen Konzerns AOL Time Warner berief sich im Prozess darauf, sie habe ihre Kunden mehrmals ausdrücklich darauf hingewiesen, dass fremde Urheber- und Leistungsschutzrechte beachtet werden müssten. Außerdem hafte sie nach dem klaren Wortlaut des § 5 Abs. 2 des TDG für fremde Inhalte, die sie zum Abruf bereithalte, nur dann, wenn sie positive Kenntnis von deren Inhalt bzw. Rechtswidrigkeit habe.
Der 29. Zivilsenat des OLG vertrat in seinem Urteil dagegen die Auffassung, § 5 Abs. 2 TDG sei bei der Verletzung von Urheber- und Leistungsschutzrechten nicht anwendbar. Als haftungsprivilegierende Regelung sei die Vorschrift eng auszulegen. Sie regele richtigerweise nur die Verantwortlichkeit für Inhalte, deren Rechtswidrigkeit sich unmittelbar aus deren Inhalt ergebe, nicht aber auch die Verantwortlichkeit für Inhalte, deren Rechtswidrigkeit sich aus der Zuordnung der Inhalte zu bestimmten Rechteinhabern ergebe. Im letzteren Fall bleibe es bei der Anwendbarkeit des Urheberrechts und den allgemeinen Zurechnungsregeln, wonach die adäquat kausale (Mit-)Verursachung einer Urheberrechtsverletzung zur Begründung einer Schadensersatzpflicht ausreiche. Das OLG berief sich dabei auf Wortlaut, Systematik und Entstehungsgeschichte der Vorschrift. AOL Deutschland sei im Fall der Vorwurf zu machen, ein Forum eröffnet zu haben, dass "geradezu eine Einladung zu massenhaften Verletzungen von Urheber- und Leistungsschutzrechten" gewesen sei.
Das OLG stellt sich mit der Entscheidung gegen die herrschende Meinung in der rechtswissenschaftlichen Literatur, die mehrheitlich davon ausgeht, die Haftungsprivilegierung des § 5 TDG erfasse nach seinem Sinn und Zweck auch Urheberrechtsverletzungen in den Datennetzen und deren Folgen. Die Richter verwarfen diese Ansicht u. a. mit dem Hinweis, die Anpassung des deutschen Urheberrechts zur Wahrung der Urheberrechte im digitalen Umfeld sei bei Erlass des TDG vom Gesetzgeber bewusst der angekündigten Novelle des Urheberrechtsgesetzes überlassen worden. Wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Frage wird seit längerem eine obergerichtliche Entscheidung erwartet.
Dokumente:
- Entscheidung des OLG München vom 8.3.2001 (Az. 29 U 3282/00)
- Entscheidung des LG München vom 30.3.2000 (Az. 7 O 3625/98)
- Teledienstegesetz (TDG)
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