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20.03.2008; 14:54 Uhr
Gewichtung zwischen Urheberrecht und kirchlichem Selbstbestimmungsrecht
BGH: Bei nachvollziehbaren liturgischen Erwägungen kein Raum für eigene Bewertung der Erforderlichkeit der Umgestaltung des Altarraums

Die Umgestaltung eines urheberrechtlich geschützten Kircheninnenraums und der damit verbundene Verstoß gegen das urheberrechtliche Änderungsverbot kann durch das kirchliche Selbstbestimmungsrecht gerechtfertigt sein, wenn die Umgestaltung wegen als besonders gewichtig zu bewertender liturgischer Interessen erfolgte. Dies entschied der I. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs mit Urteil vom 19.3.2008 (Az. I ZR 166/05 - Veröffentlichung in der ZUM folgt).

Der bereits 1966 verstorbene Vater der Klägerin hatte für die Beklagte, die katholische Kirchengemeinde St. Gottfried in Münster, im Jahre 1952/1953 die Kirche entworfen und den Innenraum gestaltet. Nachdem die Beklagte im Jahre 2002 den Altarraum umgestaltete, um die Liturgiereform des Zweiten Vatikanischen Konzils (1962-1965) in ihrer Kirche räumlich umzusetzen und die Kirchenbesucher stärker in den Gottesdienst einzubeziehen, begehrte die Klägerin von der Beklagten gerichtlich, den ursprünglichen Zustand des Altarraums wiederherzustellen. Nachdem das Oberlandesgericht Hamm zunächst das klageabweisende Urteil der Vorinstanz aufgehoben und der Klage stattgegeben hatte (ZUM 2006, 641-648), wies nun der BGH die Klage in letzter Instanz ab.

Dabei gingen die Karlsruher Richter ebenso wie die Vorinstanz von einer Verletzung des Rechts des Urhebers aus, grundsätzlich keine Änderungen hinnehmen zu müssen. Wie aber bereits die Vorinstanz unter Verweis auf §§ 14, 39 Abs. 2 UrhG feststellte, gelte dieses Recht nicht schrankenlos, sondern im Konflikt mit den Nutzungsinteressen des Werkeigentümers; dieser Konflikt sei daher im Rahmen einer Abwägung zu lösen. Anders als das OLG Hamm maß jedoch der BGH dabei jedoch dem kirchlichen Selbstbestimmungsrecht gemäß Art. 140 GG i.V. m. Art. 137 III 1 WRV und dem Grundrecht auf Religionsfreiheit gemäß Art. 4 GG ein größeres Gewicht bei. So bestimme sich die Beurteilung, ob und inwieweit liturgische Gründe für eine Umgestaltung des Kircheninnenraumes bestehen, nach dem Selbstverständnis der Kirchengemeinde. Sei wie im Streitfalle eine entsprechende Glaubensüberzeugung substantiiert und nachvollziehbar dargelegt, sei kein Raum mehr für eine staatliche Bewertung dieser Glaubenserkenntnis. Auf Seiten des Urhebers hingegen müsse darüber hinaus dessen Kenntnis über den Verwendungszweck des Bauwerks berücksichtigt werden. Er habe daher damit zu rechnen, dass sich aus wechselnden Bedürfnissen des Eigentümers ein Bedarf nach Veränderungen des Bauwerks ergeben könne mit der Folge, dass im streitgegenständlichen Fall mit Rücksicht auf das kirchliche Selbstbestimmungsrecht das Interesse des Vaters der Klägerin gegenüber dem besonders gewichtig zu bewertenden liturgischen Interesse der Beklagten an dem Umbau des Kircheninnenraums zurückzutreten habe.

Dokumente:

Institutionen:

Zu diesem Thema:

  • Urheberrechtsverletzung durch Umgestaltung eines Kircheninnenraums, Urteil des Oberlandesgerichts Hamm vom 23. August 2005 - 4 U 10/05, ZUM 2006, 641-648
  • Räumliche Anordnung von Bestandteilen eines Kirchenraums kein schutzfähiges Werk, Urteil des Oberlandesgerichts Karlsruhe vom 11. Juni 2003 - 6 U 132/02, ZUM 2004, 138-139
  • Geplanter Abriss eines Kirchenschiffs als Bestandteil eines Pfarrzentrums, Urteil des Oberlandesgerichts München vom 21. Dezember 2000 - 6 U 3711/00, ZUM 2001, 339-346
  • Ansprüche des Urhebers auf Wiederherstellung von Farbfenstern in einem Kirchenbau, Urteil des Oberlandesgerichts München vom 11. Dezember 1997 - 29 U 3919/97, ZUM-RD 1998, 87-
[IUM/hl]

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