Voraussichtlich keine Ausdehnung des Erschöpfungsgrundsatzes in den USA
Der auch dem US-amerikanischen Urheberrecht bekannte Erschöpfungsgrundsatz ("first sale doctrin") wird voraussichtlich nicht auf digitale Vervielfältigungen ausgedehnt werden. Eine entsprechende Empfehlung sprach das US-Copyright Office aus, das am 29.8.2001 in Washington eine Studie zur Weiterentwicklung des US-Urheberrechts vorlegte. Für eine entsprechende Regelung bestehe zur Zeit kein Bedarf. Angebote wie die umstrittene Musiktauschbörse Napster blieben damit nach US-amerikanischem Recht auch in Zukunft rechtswidrig. Weitere Fragen, mit der sich die dreibändige Untersuchung auf über 1200 Seiten beschäftigt, sind die urheberrechtliche Zulässigkeit vorübergehend und zufällig hergestellter Vervielfältigungen ("temporary incidental copies") und der Anfertigung von Kopien zu Archivierungszwecken ("archival copying exemption for computer programs").
Die Studie dokumentiert umfassend die Diskussion, die in den USA in den letzten Jahren über eine Anpassung des Urheberrechts an neue technische Entwicklungen stattgefunden hat. Zu Sprache kommt beispielsweise der Streit über die Vorschriften des Digital Millenium Copyright Act (DMCA) von 1998, die die Verbreitung von Mitteln zur Umgehung von Kopierschutzvorrichtungen unter Strafe stellen. Eingegangen wird in diesem Zusammenhang auch auf das für DVDs verwendete Content Scrambling System (CSS) und den Streit über Veröffentlichungen zu seiner Umgehung. Befasst haben sich die Verfasser auch mit dem umstrittenen Regionalcode-System von DVDs, mit dem die US-Filmwirtschaft die Welt in verschieden Verwertungsgebiete eingeteilt hat. Im Mittelpunkt der Untersuchung steht allerdings die Frage, ob der Erschöpfungsgrundsatz des US-amerikanischen Urheberrechts auch auf digitale Kopien ausgedehnt werden kann bzw. ausgedehnt werden sollte, um eine Aushöhlung der "first sale doctrin" und des Rechts auf angemessene Nutzung ("fair use") urheberrechtlich geschützter Inhalte zu verhindern.
Das Copyright Office führt zu der umstrittenen Frage aus, die "first sale doctrin" sei nach dem gemeinen Recht als Begrenzung des ausschließlichen Verbreitungsrechts des Urhebers gedacht, nicht dagegen als Begrenzung seines ausschließlichen Vervielfältigungsrechts. Die Verbreitung urheberrechtlich geschützter Werke in digitaler Form sei aber praktisch immer mit ihrer Vervielfältigung verbunden und daher von der "first sale doctrin" nicht gedeckt. Nach den Verfassern der Studie kommt auch eine entsprechende Anwendung der einschlägigen Vorschriften des U. S. Copyright Act nicht Betracht. Eine solche Analogie hinke und sei nicht überzeugend ("flawed and unconvincing"). Während körperliche Vervielfältigungen sich im Lauf der Zeit und von Kopie zu Kopie verschlechterten, sei das bei Vervielfältigungen unkörperlicher digitaler Werke nicht der Fall. Diese könnten makellos reproduziert und anschließend innerhalb weniger Augenblicke weltweit verbreitet werden.
Die Studie spricht sich schließlich auch ausdrücklich gegen eine gesetzliche Erweiterung der "first sale doctrin" aus. Diese sei vom gemeinen Recht für das Verhältnis des Urhebers zum Eigentümer körperlicher Werkstücke entwickelt worden. Die Körperlichkeit der Werkstücke sei wesentlicher Bestandteil der Doktrin und entscheidend für ihren Sinn. Bei der digitalen Übertragung eines Werkes finde keine Veräußerung eines körperlichen Gegenstandes statt. Aus diesem Grund werde auch nach der Rechtsordnung anderer Länder der Erschöpfungsgrundsatz ("principle of exhaustion") nicht auf digitale Übertragungen angewendet.
Dokumente:
- Study Required by Section 104 of the DMCA, Vol. 1
- Study Required by Section 104 of the DMCA, Vol. 2
- Study Required by Section 104 of the DMCA, Vol. 3
- Digital Millenium Copyright Act (DMCA) von 1998
- U. S. Copyright Act (U. S. C. Title 17)
Institutionen:
Permanenter Link zu dieser News Nr. 356:
https://www.urheberrecht.org/news/356/
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