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27.06.2002; 18:22 Uhr
BITKOM warnt vor geplanter Ausweitung der Strafbarkeit von Gewaltdarstellungen
Erhebliche Rechtsunsicherheit für Internetangebote - "Technische Besonderheiten nicht berücksichtigt"

Die Medienwirtschaft hat sich kritisch zu den Plänen geäußert, die Strafbarkeit der Verbreitung jugendgefährdender Inhalte auszuweiten. Der Bundesverband Informationstechnik, Kommunikation und Neue Medien (BITKOM) warnte am 26.6.2002, die entsprechenden Pläne von Bundesjustizministerin Herta Däubler-Gmelin (SPD) für eine Verschärfung der §§ 130, 131 und 184 des Strafgesetzbuches (StGB) brächten "erhebliche Unklarheiten" mit sich. Ein Verbandssprecher gab zu Bedenken, bei allem Verständnis für das grundsätzliche Anliegen der Bundesregierung berge der vorgelegte Diskussionsentwurf in seiner bisherigen Fassung die Gefahr, dass auch gesellschaftlich allgemein akzeptierte Verhaltensweisen in den Bereich einer möglichen Strafbarkeit geraten könnten. Gerade für Anbieter im Bereich der neuen Medien wie dem Internet drohten dadurch "erhebliche Rechtsunsicherheiten" und Einschränkungen ihrer Schaffensfreiheit, die über das angestrebte Ziel hinausgingen. Daneben berücksichtige der Entwurf auch technische Besonderheiten der neuen Medien unzureichend. Ungerechtfertigterweise in den Gefahr einer Strafverfolgung könnten so beispielsweise auch Provider kommen, meinte die BITKOM.

Das Bundesjustizministerium hat als Reaktion auf den Amoklauf von Erfurt bereits Anfang Juni 2002 Vorschläge zur umfassenden Änderungen einiger Strafvorschriften vorgelegt. Betroffen sind die Tatbestände der Volksverhetzung (§ 130 StGB), der Gewaltdarstellung (§ 131 StBG) und der Verbreitung pornografischer Schriften (§ 184 StBG). Nach den Vorstellungen des Ministeriums sollen Medien- und Teledienste in Zukunft im Rahmen dieser Vorschriften grundsätzlich mit Rundfunkangeboten gleichgestellt werden. Weitgehend wegfallen soll außerdem die Unterscheidung rechtswidriger und nur jugendgefährdender Inhalte. Im Rahmen der Strafbarkeit gewaltverherrlichender und -verharmlosender Darstellungen soll in Zukunft nicht mehr nur die Darstellung von Gewalt gegen Menschen, sondern auch von Gewalt gegen "menschenähnliche Wesen" geächtet werden. Außerdem soll die Strafbarkeit zukünftig bereits erheblich früher greifen als bisher. Genügen soll nach dem Willen des Ministeriums die Verherrlichung oder Verharmlosung von Gewalttätigkeiten oder eine Darstellung in einer die Menschenwürde verletzen Weise auch dann, wenn die Darstellung weder grausam noch unmenschlich ist.

Nach dem Amoklauf von Erfurt hatten Politiker beider großer Volksparteien stärkere Einschränkungen für Gewaltdarstellungen in den Medien gefordert. Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD) hatte bereits Ende April 2002 erklärt, man müsse sich Gedanken darüber machen, wie die Verbreitung von "Schmutz und Schund" über das Internet unterbunden werden könne. Auch der bayerische Ministerpräsident und CSU-Vorsitzende Edmund Stoiber hatte sich dafür ausgesprochen, entschiedener gegen gewaltverherrlichende Darstellungen in Computerspielen vorzugehen. Inzwischen haben die ersten Hersteller von Spielesoftware Konsequenzen aus der Diskussion gezogen. Ein deutsches Tochterunternehmen des Medienkonzerns Vivendi Universal kündigte bereits Mitte Mai 2002 an, auf den Vertrieb gewalttätiger US-Computerspiele in Deutschland vorerst verzichten zu wollen. Die Vivendi Universal Interactive GmbH teilte mit, man wolle sich stattdessen in Zukunft auf die Entwicklung "konsensfähiger Spiele für den deutschen Markt" konzentrieren. Ein Unternehmenssprecher verwahrte sich gegen den Vorwurf, Gewalt in Computerspielen führe zu tatsächlicher Gewalt.

Am 26.4.2002 hat ein 19jähriger ehemaliger Schüler des Erfurter Gutenberg-Gymnasiums bei einem Amoklauf sechzehn Menschen erschossen. Getötet wurden vor allem Lehrer der Schule, aber auch zwei Schüler und ein Polizist. Anschließend richtete sich der Täter, der mit einem Schrotgewehr und einer Pistole bewaffnet war, selbst. Nach Erkenntnissen der Polizei besaß der 19jährige für das Gewehr eine Waffenbesitzkarte, die ihm wegen der Mitgliedschaft in einem Erfurter Schützenverein ausgestellt worden war. In der Wohnung des Schülers, der in seinem Bekanntenkreis als unauffällig galt, fanden die Ermittler außerdem große Mengen an Munition für die beiden Waffen. Wie die Polizei weiter bekannt gab, spielte der Amokläufer unter anderem regelmäßig das für seine lebensnahen Gewaltdarstellungen bekannte Computerspiel "Counterstrike". Die Bundesprüfstelle für jugendgefährdende Schriften (BPJS) hat eine Indizierung des Spiels Mitte Mai 2002 in einer viel beachteten Entscheidung allerdings abgelehnt.

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