US-Abgeordnete wollen Rechteinhabern Sabotage von Tauschbörsen erlauben
In den USA dürfen Rechteinhaber in Zukunft möglicherweise gezielt Tauschbörsen im Internet sabotieren, um die Verbreitung rechtswidrig vervielfältigter Musikstücke und Filme zu verhindern. Mitglieder des US-Repräsentantenhauses um den kalifornischen Abgeordneten Howard Berman stellten am 25.7.2002 in Washington einen bereits seit längerem angekündigten entsprechenden Gesetzentwurf vor. Nach dem vorgelegten Entwurf eines Peer to Peer Piracy Prevention Act soll die Verwertungsindustrie die Verbreitung urheberrechtlich geschützten Materials über Tauschbörsen gezielt durch technische Maßnahmen unterbinden dürfen, ohne eine Strafverfolgung oder Schadensersatzklagen befürchten zu müssen. Wer vom Vorgehen beeinträchtigt wird, ohne tatsächlich an Urheberrechtsverletzungen beteiligt gewesen zu sein, soll dadurch entstehende Schäden nur dann ersetzt bekommen, wenn sie einen Betrag von 250 US-Dollar übersteigen. Die Sabotageakte sollen nach dem Gesetzentwurf ohne Vorwarnung zulässig sein, müssen aber vorab dem US-Justizministerium mitgeteilt werden. Vertreter der Musik- und Filmindustrie begrüßten den Vorstoß als Schritt in die richtige Richtung. US-Bürgerrechtler warnten dagegen, ein entsprechendes Gesetz würde den Rechteinhabern einen Freibrief geben, legitime Internetnutzungen zu beeinträchtigen.
Die Ankündigung des Gesetzentwurfs Ende Juni 2002 hatte für einige Aufregung gesorgt. Der Abgeordnete Berman als treibende Kraft hinter dem Vorschlag bemühte sich deshalb bei Vorstellung des Papiers, die Wogen zu glätten. Er wies darauf hin, der Gesetzentwurf gestatte es den Rechteinhabern nicht, das Eigentum von nur mittelbar beteiligten Dritten zu beschädigen, etwa von Zugangsanbietern. Auch den Rechtsverletzern selbst dürfe Schaden nur in zu vernachlässigendem Umfang ("de minimis damage") zugefügt werden. Berman betonte, das Zerstören von Dateien erlaube der Gesetzentwurf genauso wenig wie die gezielte Verbreitung von Computerviren über Tauschnetzwerke. Der Demokrat erklärte, er selbst sei ein großer Anhänger von Peer-to-Peer-Netzwerken und "begeistert" von ihrem ungeheuren Potential für rechtmäßige Nutzungen. Es müsse aber den Rechteinhabern überlassen bleiben, ob sie die Netze zur Verbreitung ihrer Werke nutzen wollten. Ziel des Gesetzentwurfs sei es, den Betroffenen die Selbsthilfe zu ermöglichen, die in anderen Bereichen selbstverständlich sei. Berman meinte, Satellitenfirmen setzten regelmäßig technische Maßnahmen ein, um einen Diebstahl ihrer Signale zu verhindern. Auch Softwarehersteller nutzten seit langem Techniken, die ihre Programme unbrauchbar machten, wenn Lizenzbedingungen verletzt würden.
Berman hatte bereits früher eingeräumt, dass Selbsthilfemaßnahmen der Rechteinhaber nach geltendem Recht möglicherweise rechtswidrig seien. In Betracht komme vor allem ein Verstoß gegen den U.S. Computer Fraud and Abuse Act. Der Abgeordnete ging auf dieses Problem auch bei Vorlage des Gesetzentwurfs ein. Er meinte, der Peer to Peer Privacy Prevention Act solle klarstellen, dass Rechteinhaber beim Vorgehen gegen Musik- und Filmpiraterie keine straf- oder zivilrechtliche Verfolgung befürchten müssten. Das gelte gerade auch mit Blick auf den U.S. Computer Fraud and Abuse Act. Absicht dieses Gesetzes sei es im Übrigen nie gewesen, angemessene Selbsthilfemaßnahmen zu untersagen. Berman bekräftigte nochmals, mit dem Aufbau rechtmäßiger Angebote, digitalem Rechtemanagement und Schadensersatzklagen allein könnten die Rechteinhaber der massenhaften Piraterie im Internet nicht Herr werden. Über Musiktauschbörsen fänden nach wie vor jeden Monat Milliarden von Urheberrechtsverletzungen statt, ohne dass die Musikindustrie dafür in irgendeiner Form entschädigt würde. Der Abgeordnete erklärte, damit müsse endlich aufgeräumt werden, "und zwar jetzt".
Die Recording Industry Association of America (RIAA), der wichtigste Verband der US-amerikanischen Tonträgerindustrie, begrüßte den Gesetzentwurf Bermans als "innovativen Ansatz" zur Bekämpfung der Internetpiraterie. RIAA-Vorsitzende Hilary Rosen warnte, Onlinepiraterie untergrabe die Aussichten rechtmäßiger Musikangebote, schmälere die Mittel zum Aufbau neuer Künstler und schade damit auf lange Sicht allen Beteiligten, einschließlich der Verbraucher. Rosen meinte, die gegenwärtige Rechtslage sei "gefährlich einseitig" und verschaffe Peer-to-Peer-Piraten einen unfairen Vorteil. Es mache Sinn, klarzustellen, dass es das gute Recht der Rechteinhaber sei, auf eigene Faust gegen Rechtsverletzungen vorzugehen. Die RIAA hatte erst vor wenigen Wochen erklärt, das Überfluten von Musiktauschbörsen mit Tausenden von fehlerhaften Musikdateien sei eine "völlig rechtmäßige Selbsthilfemaßnahme" und eine "angemessene Antwort" auf das Problem der Musikpiraterie. Eine RIAA-Sprecherin meinte damals, die Rechteinhaber müssten verrückt sein, wenn sie diese Möglichkeit nicht nutzten. Grundsätzlich begrüßt wurde der Vorstoß Bermans auch von der Motion Picture Association of America (MPAA). Der Verband merkte allerdings an, einige Teile des Gesetzentwurfs müssten vermutlich noch überarbeitet werden.
Dokumente:
- Pressemitteilung von Howard Berman v. 25.7.2002
- Peer to Peer Piracy Prevention Act (Entwurf) v. 25.7.2002
- Pressemitteilung der RIAA v. 25.7.2002
Institutionen:
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