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19.06.2001; 20:34 Uhr
Hausverbot für Journalisten im Bundestag aufgehoben
Bundestagspräsident unterliegt im Streit über Folgen von Kokain-Berichten

Das Berliner Verwaltungsgericht (VG) hat ein einjähriges Hausverbot aufgehoben, das Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (SPD) im vergangenen November gegen zwei Journalisten verhängt hatte. Die beiden Redakteure des Privatsenders SAT 1 hatten Ende Oktober 2000 im Berliner Reichstagsgebäude ohne Drehgenehmigung heimlich Filmaufnahmen gemacht und durch Wischtests Spuren von Kokain in 22 von 28 Reichstagstoiletten nachgewiesen. Die Berliner Richter entschieden am 18.6.2001, die Dreharbeiten seien zwar ein Verstoß gegen die Hausordnung gewesen. Dieser Verstoß rechtfertige aber nicht die Verhängung eines Hausverbotes (Az. VG 27 A 344.00).

Thierse, vor Gericht vertreten durch Rechtsanwalt Gernot Lehr, hatte die Auffassung vertreten, die Journalisten hätten vorsätzlich die Hausordnung verletzt. Auch die Pressefreiheit könne ein solches Vorgehen nicht rechtfertigen. Die Schwere des Verstoßes hätte das sofortige Hausverbot rechtfertigt. Aus dem gleichen Grund sei auch eine Anhörung der betroffenen Redakteure nicht erforderlich gewesen. Die heimlichen Aufnahmen und die Berichterstattung über die Kokain-Funde hätten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages erheblich verunsichert und in ihrer Arbeit behindert. Die Reporter seien in einen Bereich eingedrungen, der für die Öffentlichkeit nicht zugänglich sei und in dem Abgeordnete annähmen, sie seien ungestört. Thierse selbst hatte nach Bekanntwerden des Vorfalls von "Toilettenschnüffelei" gesprochen.

Der Rechtsanwalt der betroffenen Journalisten, Johannes Kreile, stellte sich dagegen auf den Standpunkt, die Redakteure könnten sich trotz ihres heimlichen Vorgehens auf die Pressefreiheit berufen. Wenn man als Journalist Missstände aufdecken wolle, könne man sich nicht in jedem Fall an die Beschränkungen einer Hausordnung halten, meinte Kreile. Ohne Filmaufnahmen hätte die Öffentlichkeit die Kokain-Funde im Reichstag niemals geglaubt. Kreile kritisierte, Thierse wolle an den beiden Reportern ein Exempel statuieren.

Das VG Berlin schloss sich dieser Meinung im Ergebnis an. Zwar könne der Bundestagspräsident als Inhaber des Hausrechts bei Verstößen gegen die Hausordnung Hausverbote aussprechen. Das dürfe aber nicht zur Bestrafung, sondern nur zur Verhinderung künftiger Verstöße erfolgen. Dafür, dass solche Verstöße zu erwarten gewesen wären, hätte es im Fall aber keine Anhaltspunkte gegeben. Die Verhängung einer Strafe ermögliche die Hausordnung nicht, sie enthalte keine entsprechende Rechtsgrundlage. Die Richter entschieden weiter, Thierse hätte die betroffenen Journalisten außerdem vor der Entscheidung anhören und auch mildere Maßnahmen in Betracht ziehen müssen. Schließlich sei das einjährige Hausverbot auch unverhältnismäßig gewesen.

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