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06.12.2006; 10:22 Uhr
BGH: Bezeichnung »Terroristentochter« im konkreten Kontext zulässig
Keine Schmähkritik, da Anknüpfen an Äußerungen der Betroffenen und Auseinandersetzen mit ihrer Lebensgeschichte

Die Bezeichnung einer Tochter der RAF-Terroristin Ulrike Meinhof als »Terroristentochter« iim Rahmen eines Presseerzeugnisses kann im konkreten Kontext zulässig sein. Dies entschied der VI. Zivilsenat des Bundesgerichtshofs (BGH) am 5.12.2006 laut einer Pressemitteilung desselben Tages durch Urteil (Az. VI ZR 45/05 - Veröffentlichung in der ZUM folgt).

Die Klägerin ist eine Tochter der früheren RAF-Angehörigen Ulrike Meinhof und arbeitet als Journalistin. Auf einen Artikel von ihr, der sich mit einem bekannten Berliner Friseur beschäftigte, der heute Prominente und früher auch die Mutter der Klägerin frisiert haben soll, als diese bereits wegen Mordes gesucht wurde, nahm ein Beitrag Bezug, den die Beklagte in dem von ihr betriebenen Internet-Angebot der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« veröffentlichte. Der Beitrag wies ferner darauf hin, dass die Klägerin vor einigen Jahren die Rolle des Außenministers Fischer im Rahmen der Unruhen in Frankfurt enthüllt habe und führte dazu aus:

»Auf dem Höhepunkt der Debatte um Fischers Vergangenheit war die Berichterstattung gekippt. Die Kollegen wandten sich nun der Jägerin zu, die in den Portraits alles andere als schmeichelhaft wegkam: Als fanatische, verbitterte Verschwörungstheoretikerin erschien R., die die »Achtundsechziger« abgrundtief hasste und sie, wie die »Welt« einmal schrieb, »auch mit sonderbaren Methoden« bekämpfte. Statt Respekt brachte man ihr allenfalls Mitleid entgegen, der … Terroristentochter, die als Siebenjährige in ein jordanisches Palästinensercamp verfrachtet werden sollte, bevor sie der heutige »Spiegel« Chefredakteur S. A. aus den Händen der RAF befreite.«

Das in zweiter Instanz ausgesprochene Verbot, die Klägerin als »Terroristentochter« zu bezeichnen, hob der BGH nun auf und bestätigte das erstinstanzliche klageabweisende Urteil. Da streitgegenständlich nicht die Frage der Wahrheit der Tatsache, sondern die der Zulässigkeit der gewählten Formulierung sei, war darüber zu entscheiden, ob es sich um eine grundsätzlich unzulässige Schmähkritik oder Formalbeleidigung handelte. Dies lehnten die Karlsruher Richter ab und stellten klar, dass die gewählte Formulierung im konkreten Kontext nicht rechtswidrig war. Eine Diffamierung der Klägerin stehe nicht im Vordergrund, da der von der Beklagten veröffentlichte Beitrag an Veröffentlichungen und Vorwürfe der Klägerin gegen Dritte anknüpfe und diese in Bezug zu ihrer eigenen Lebensgeschichte setze. Zwar sei der Beitrag scharf und polemisch formuliert und beschreibe nicht umfassend die Persönlichkeit der Klägerin. Dabei sei aber zu berücksichtigen, dass die Klägerin ihre Abstammung nicht geheim gehalten habe und der streitgegenständliche Beitrag von öffentlichem Interesse sei, da er »zur Meinungsbildung bei der Bewertung von Fragen beitragen sollte, die die Klägerin selbst in die Öffentlichkeit getragen hat und bei deren Beurteilung auch der persönliche Lebenshintergrund der Verfasserin von Bedeutung war«.

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