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28.02.2008; 10:58 Uhr
»Neues« Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme
BVerfG erklärt Online-Durchsuchung in NRW für verfassungswidrig und stößt dabei überwiegend auf Zustimmung

Der heimliche Zugriff auf informationstechnische Systeme, der sog. »Online-Durchsuchung«, ist aufgrund des damit verbundenen schwerwiegenden Eingriffs in das allgemeine Persönlichkeitsrecht in seiner besonderen Ausprägung als Grundrecht auf Gewährleistung der Vertraulichkeit und Integrität informationstechnischer Systeme nur dann verfassungsrechtlich zulässig, wenn tatsächliche Anhaltspunkte einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut bestehen. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) durch Urteil vom 27.2.2008 (Az. 1 BvR 370/07; 1 BvR 595/07 - Veröffentlichung in der ZUM 4/2008 folgt).

Die Verfassungsbeschwerden einer Journalistin, einer Politikerin der Linken sowie dreier Rechtsanwälte gegen Vorschriften des nordrhein-westfälischen Verfassungsschutzgesetzes nahm das BVerfG zum Anlass, staatliche Eingriffe bei der Nutzung von informationstechnischen Systemen verfassungsrechtlich einzuordnen. Dabei stellten die Karlsruher Richter zunächst die zentrale Bedeutung dieser Systeme bei der Persönlichkeitsentfaltung fest, weshalb eine Überwachung zugleich zu neue Gefährdungslagen nach sich ziehen würde, insbesondere wegen des Inblicks in wesentliche Teile der Lebensgestaltung und der dadurch möglichen Rückschlüsse auf die Persönlichkeit des Nutzers und einer möglichen Profilbildung. Ferner seien hinsichtlich des Art. 10 und 13 GG Schutzlücken zu verzeichnen, da danach lediglich Eingriffe in laufende Kommunikationsvorgänge sowie raumbezogene Eingriffe erfasst würden. Diese Schutzlücken könnten auch nicht durch die besonderen Ausprägungen des allgemeinen Persönlichkeitsrechts als Schutz der Privatsphäre und Recht auf informationelle Selbstbestimmung aufgefangen werden, da keine bereits auf einen vorhandenen Datenbestand zugegriffen werde, der nicht nur der Privatsphäre zuzuordnen seien.

Vielmehr müssten, so das BVerfG, gesetzliche Eingriffsermächtigungen zur Online-Durchsuchung daran gemessen werden, ob die Integrität und Vertraulichkeit von komplexen informationstechnischen Systemen gewährleistet sei. Bei Eingriffen zu präventiven Zwecken und zu Zwecken der Strafverfolgung sei dies nur bei tatsächlichen Anhaltspunkten einer konkreten Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut der Fall, also für Leib, Leben und Freiheit der Person oder solche Güter der Allgemeinheit, deren Bedrohung die Grundlagen oder den Bestand des Staates oder die Grundlagen der Existenz der Menschen berühre. Sofern sich noch nicht mit hinreichender Wahrscheinlichkeit feststellen lässt, dass die Gefahr in näherer Zukunft eintritt, könne die Maßnahme allerdings schon dann gerechtfertigt sein, wenn bestimmte Tatsachen auf eine im Einzelfall drohende Gefahr für ein überragend wichtiges Rechtsgut hinweisen würden. Außerdem müsse ein solcher Zugriff unter Richtervorbehalt gestellt werden. Eine absolute Grenze sei jedoch dann gezogen, wenn höchstpersönliche Daten erhoben würden und somit der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung betroffen sei - dann sei eine Verwertung ausgeschlossen und die Daten müssten gelöscht werden. Geht es um das »heimliche Aufklären des Internets«, wenn also der Staats sich Kenntnis von zugangsgesicherten Inhalten einer über das Internet geführten Fernkommunikation verschafft, dann liegt ein Eingriff in Art. 10 Abs. 1 GG vor, nicht jedoch, wenn z. B. im Internet für einen nicht weiter abgegrenzten Personenkreis verfügbare Kommunikationsinhalte erhoben werden.

Durch das Urteil sieht sich letztlich das gesamte politische Spektrum bestätigt. Bundesinnenminister Wolfgang Schäuble (CDU) betonte, dass die verfassungsrechtliche Zulässigkeit der »Online-Durchsuchung« grundsätzlich als Ermittlungsmaßnahme anerkannt worden sei; nun würden die verfassungsrechtlichen Vorgaben im BKA-Gesetz schnell umgesetzt werden. Seine Kabinettskollegin, Bundesjustizministerin Brigitte Zypries, hingegen freute sich, »dass die Karlsruher Richter meine Rechtsauffassung bestätigt haben«, nämlich bei einem mit ganz erheblichen Grundrechtseingriffen verbundenen Ermittlungsinstrument Verfahrenssicherungen auf hohem Niveau zum Schutz der Bürgerrechte einziehen zu müssen. Silke Stokar, Bundestagsabgeordnete von Bündnis 90/Die Grünen, sieht in dem Urteil eine Aufforderung an den Gesetzgeber, mehr Datensicherheit in einer Richtung zu gewährleisten, wie sie ihre Partei schon vor dem BVerfG gefordert habe. Guido Westerwelle (FDP) erkannte einen »Meilenstein der Rechtsgeschichte für Freiheit und Bürgerrechte«, während sein Parteifreund und Fraktionskollege Max Stadler den Blick in die Zukunft lenkte und prognostizierte, dass die verdachtslose Vorratsdatenspeicherung von Telekommunikationsdaten werde vor dem Karlsruher Gericht keinen Bestand haben werde. Hierin pflichtete ihmHans-Christian Ströbele von den Grünen und Petra Pau (DIE LINKE) bei, ihr Parteigenosse Wolfgang Neskovic bemängelte jedoch, dass der Kernbereich der privaten Lebensgestaltung nicht mehr absolut geschützt sei, weil das BVerfG einen Zugriff zunächst einmal für zulässig erachtet habe. Demgegenüber zeigte sich der Chef des Bundeskriminalamts, Jörg Zielcke, über die Karlsruher Entscheidung zufrieden und bezeichnete sich als einen Schritt nach vorne, der deutlich mache, dass Freiheit und Sicherheit keine Gegensätze sind, sondern dass sie in einem ständigen Prozess ausbalanciert werden müssen. Der Deutsche Journalisten-Verband erkannte die vom BVerfG gesetzten hohen Hürden an, bekräftigte aber seine grundsätzliche Ablehnung von Online-Durchsuchungen bei Journalisten.

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