Wissenschaftliche Dienste des Deutschen Bundestages veröffentlichen Gutachten zu Netzsperren
In der Diskussion um die Sperrung von Internet-Seiten mit rechtswidrigen Inhalten haben die Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages ein juristisches Gutachten zur Zulässigkeit von Sperrverfügungen gegen Internet-Provider veröffentlicht. In dem 27seitigem Dokument von Günther Pursch und Verena Bär werden technische Abläufe und rechtliche Probleme insbesondere von DNS-Sperren beleuchtet, abschließend wird das in der Volksrepublik China praktizierte Sperrungsverfahren dargestellt.
Das Gutachten hebt dabei im Wesentlichen drei Möglichkeiten von Sperrmaßnahmen hervor, die jedoch allesamt mit vergleichsweise geringem Aufwand von Nutzern oder Anbietern umgangen werden können. Bei der Prüfung der Verhältnismäßigkeit von Sperrverfügungen sei daher bereits die Erforderlichkeit derartiger Maßnahmen fraglich. Eine Aufklärung in den Medien könnte ein milderes und ebenso effektives Mittel darstellen, für das sich laut Gutachten auch die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) 2005 in einer Erklärung ausgesprochen hatte. Trotz dieser Zweifel habe beispielsweise das Verwaltungsgericht Köln auch in einer möglicherweise nicht voll wirksamen Sperrung eine wirksame Maßnahme gesehen (inhaltsgleich zu dem im Gutachten zitierten Urteil: VG Köln, ZUM-RD 2005, 302).
Zweifel bestehen nach dem Gutachten auch hinsichtlich der Angemessenheit von Sperrverfügungen gegen die Access-Provider. Da es eine Vielzahl rechtswidriger Inhalte im Internet gibt und eine - nicht voll wirksame - Sperrung mit erheblichem Aufwand für die Anbieter verbunden ist, sei hier die Zumutbarkeit der Maßnahme fraglich. Im Übrigen sei die rechtliche Beurteilung aufgrund unterschiedlicher Fallkonstellationen schwierig, wodurch die Kommunikationsfreiheit nach Art. 5 GG unverhältnismäßig stark beschränkt werde, weil Provider, denen Geldbußen drohen, möglicherweise bei der Einrichtung von Filtersystemen eine sehr weitgehende Zensur auch von unbedenklichen Inhalten betreiben könnten. Auch die praktische Umsetzung und Kontrolle gerade kleinerer Internetprovider sei schwierig. Bei der abschließenden Gegenüberstellung der positiven Effekte und der negativen Auswirkungen von Sperranordnungen teilt das Gutachten der Wissenschaftlichen Dienste des Deutschen Bundestages die im Schrifttum vertretene Auffassung, dass die Angemessenheit hier problematisch sei.
Der Bundesverband der Digitalen Wirtschaft (BVDW) hatte bereits im Januar 2009 ein Gutachten zu den Netzsperren veröffentlicht, das sich insbesondere mit der Frage beschäftigt, inwieweit die vom BGH für Host-Provider entwickelten Grundsätze auf Anbieter von Internetzugängen übertragen werden können, und diese Übertragbarkeit im Ergebnis verneint (vgl. Meldung vom 20. Januar 2009).
Dokumente:
- Gutachten »Sperrverfügung gegen Internet-Provider« (PDF; von netzpolitik.org)
- Pressemitteilung BVDW vom 20. Januar 2009
- Gutachten BVDW zum Haftungsregime für Host- und Access-Provider im Bereich der Telemedien
Institutionen:
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