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01.09.2015; 21:39 Uhr
Berliner Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts für die digitale Welt vorgestellt
Till Kreutzer: Das geltende Urheberrecht erfüllt seine Funktion nicht mehr, zu Lasten aller beteiligten Akteure

Wie die Initiative Urheberrecht in einer Nachricht vom 31. August 2015 berichtet, hat Till Kreutzer am 29. August im Rahmen der Sommerkonferenz des Online-Portals Telemedicus das so genannte »Berliner Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts« (Download als pdf) vorgestellt. Wie der Urheberrechtler in seinem Blog vom 29. August 2015 erklärt, hat das geltende Urheberrecht seiner Ansicht nach in der digitalen Welt einen dramatischen Bedeutungswandel erfahren und erfüllt seine Funktion nicht mehr. Die Auswirkungen gingen zu Lasten aller Akteure und könnten durch Detailkorrekturen nicht behoben werden. Es gelte vielmehr, Regelungsprinzipien, systematische Ansätze und Grundgedanken auf ihre Tauglichkeit für die digitale Welt zu überprüfen, wenn nötig zu überarbeiten oder durch neue Ansätze zu ersetzen. 

Daher habe sich, so Kreutzer, eine kleine Gruppe von Experten verschiedenster Disziplinen unter seiner Leitung dieser Aufgabe angenommen. Das Ergebnis ist das »Berliner Gedankenexperiment zur Neuordnung des Urheberrechts«. Wie sich aus dem Vorwort des 16-seitigen Papiers ergibt, basiert das Gedankenexperiment auf den »Leitlinien für ein Urheberrecht für die digitale Welt in Form eines Regelungssystems für kreative informationelle Güter«, das von der Initiative »Internet & Gesellschaft Collaboratory« (CoLab) 2011 veröffentlicht wurde (siehe Abschlussbericht der 3. CoLab-Initiative, S. 99 ff.). Es handelt sich hierbei größtenteils um dieselben Verfasser. Wie die Initiative Urheberrecht in ihrem Bericht vom 31. August 2015 hinweist, wird CoLab überwiegend von Google finanziert.

Das nun vorgestellte Regelsystem unterscheidet zwischen vier so genannten Akteuren: den Urhebern, den Verwertern, den Nutzern und Vermittlern. Deren Interessen gelte es laut dem Papier in »konkreten Wertungsentscheidungen« jeweils in Einklang zu bringen. Das Regelungssystem sei dabei als Instrument zum Ausgleich der unterschiedlichen Interessen, die manchmal miteinander kollidieren, zu sehen. Dabei sei davon auszugehen, dass jede der vier zugewiesenen Rechtspositionen per se begründungsbedürftig sei. Ein Recht werde demgemäß nur in dem Umfang gewährt soweit es im Verhältnis zu Gemeinwohl- und widerstreitenden Interessen anderer Beteiligter gerechtfertigt sei.

Eine systematische Trennung der Rechtspositionen soll dazu führen, dass allen Akteuren originäre Rechtspositionen zugewiesen werden, die sich nicht überschneiden und nicht übertragen werden können. So sollen bspw. die Nutzerrechte gestärkt werden, indem Schrankenregelungen eingeklagt werden können. Nutzerrechte und Schutzrechte sollen sich gleichrangig gegenüber stehen. Weiter soll eine Fair-use-Klausel nach dem Vorbild des US-Copyright eingeführt werden, die als »Generalklausel« bezeichnet wird. 

Der Verwerter als weiterer der vier Akteure, soll ein eigenes Verwerterrecht erhalten, das aber nur für die konkrete Produktion oder Konfektion des jeweiligen Werkes gilt. Daneben sollen die Rechte der Vermittler geschützt werden. Hierbei wird zwischen Vermittlern unterschieden, deren Angebot mit Leistungen von Verwertern tendenziell konkurriert oder sie sogar substituieren kann (Vermittler mit Konkurrenzangebot), und solchen, deren Angebot die Leistungen von Verwertern ergänzt oder erst ermöglicht (Vermittler mit Komplementärangebot).

Komplementärangebote fördern damit die Nutzung und Rezeption von Werken und seien damit generell neutral oder sogar förderlich für Rechteinhaber. In den Konkurrenzangebote sehen die Verfasser des Papiers dagegen ein Gefährdungspotenzial für die Interessen von Verwertern oder Urhebern, wie etwa den Erfolg eigener Angebote und Vertriebswege. Anders als die Komplementärangebote profitierten die Konkurrenzangebote unmittelbar von der Nutzung geschützten Materials. Zwar nutzten sie die kreativen Leistungen nicht selbst. Sie generierten ihre Wertschöpfung jedoch z.B. daraus, dass sie ihren Usern solche Nutzungsmöglichkeiten vorbei an den von den Urhebern und Verwertern definierten Marktkanälen eröffneten. Daher sollten legitime Konkurrenzangebote zumindest einer Beteiligungsvergütungspflicht unterworfen werden, die »von zentraler Stelle erhoben« und »an die Rechteinhaber weitergeleitet« werden könnte. Die individuelle Wahrnehmung von Rechten gegenüber Privatpersonen sei erfahrungsgemäß nicht praktikabel. Auch Massenabmahnverfahren würden durch eine Zahlungspflicht obsolet.

Hinsichtlich der Rechtsposition der Urheber wird eine Trennung von wirtschaftlichen Schutzrechten und Urheberpersönlichkeitsrechten vorgeschlagen. Nutzungsrechte sollten durch umfassende oder eingeschränkte »Werknutzungsbewilligungen« ersetzt werden. Hierbei handelt es sich nicht um eine Übertragung von dinglichen Nutzungsrechten, sondern um eine schuldrechtliche Einwilligung. Die Erteilung einer exklusiven Werknutzungsbewilligung soll nur für einen kurzen Zeitraum möglich sein (bspw. 3 bis 5 Jahre). Auch solle die »Laufzeit des Ausschließlichkeitsrechts am Werk auf ein angemessenes Maß beschränkt sein«, das Urheberpersönlichkeitsrecht und die wirtschaftlichen Beteiligungsansprüche sollten bspw. auf 20 Jahre nach dem Tod des Urhebers begrenzt werden.

 

Dokumente:

[IUM/kr]

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