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12.10.2007; 10:18 Uhr
BVerfG: Biller-Roman »Esra« bleibt verboten
Je stärker die Übereinstimmung zwischen Abbild und Urbild, desto schwerer die Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts

Die Verbreitung des Romans »Esra« von Maxim Biller bleibt wegen der besonders schweren Verletzung des Persönlichkeitsrechts verboten, soweit dies die Darstellungen der Titelfigur betrifft, in der sich die ehemalige Freundin des Autors wiedererkennt; hinsichtlich der Schilderung der Mutter von »Esra« besteht eine solche Schwere nicht. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts durch einen erst am 12.10.2007 bekannt gewordenen Beschluss vom 13.6.2007 (Az. 1 BvR 1783/05 - Veröffentlichung folgt in der ZUM 11/2007).

Der Roman beschreibt das Scheitern der Liebesbeziehung eines jungen Schriftstellers namens »Adam« zu einem Mädchen mit dem Namen »Esra«. Dabei erstreckt sich die Schilderung bis in intime Details der Beziehung und macht u. a. die herrschsüchtige Mutter »Lale« von »Esra« für die Schwierigkeiten in der Beziehung verantwortlich. Die ehemalige Freundin des Autors und deren Mutter erkannten sich ohne wesentliche Abweichungen von der Wirklichkeit in dem Roman wieder, weshalb sie auf Untersagung der Veröffentlichung und Verbreitung des Romans klagten. Der Klage gaben die Gerichte in allen Instanzen statt (soweit veröffentlicht: LG München I ZUM 2004, 234; BGH ZUM 2005, 735). Auf die Verfassungsbeschwerde des Verlages, in dem der Roman erschienen ist, hob nun das BVerfG das Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) hinsichtlich der Klage der Mutter auf und verwies die Sache insoweit an den BGH zurück.

Dabei stellten die Verfassungsrichter zunächst fest, dass das Recht des Autors, die Wirklichkeit künstlerisch zu gestalten, von der Kunstfreiheit gem. Art. 5 Abs. 3 GG geschützt sei. Ein literarisches Werk sei daher grundsätzlich als Fiktion anzusehen, was auch das Recht einschließe, Vorbilder aus der Lebenswirklichkeit zu verwenden, auch wenn die realen Personen als Urbilder hinter den Romanfiguren erkennbar blieben. Jedoch unterliege diese Freiheit auch der Schranke des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, weshalb eine Fiktionalisierung der Handlung umso stärker zu erfolgen habe, desto größer die Übereinstimmung zwischen Abbild und Urbild sei und damit auch die besonders geschützten Dimensionen des Persönlichkeitsrechts berührt seien. Gemessen hieran verstoße die Untersagung hinsichtlich der Mutter gegen die Kunstfreiheitsgarantie, da der Nachweis fehle, der Autor lege dem Leser nahe, bestimmte Teile der Schilderung als tatsächlich geschehen anzusehen, die dann eine Persönlichkeitsrechtsverletzung darstellten. Daher überwiege hier das Recht des Autors, tatsächliche und fiktive Schilderungen innerhalb einer eigenen ästhetischen Realität zu vermengen. Demgegenüber gehe die Schilderung hinsichtlich der ehemaligen Freundin über eine bloße Erkennbarkeit hinaus. Der Autor habe hier unmittelbar aus eigenem Erlebtem stammende Geschehnisse realistisch und detailliert erzählt, die - soweit sie die ehemalige Freundin als Intimpartnerin des Autors und vor dem Hintergrund der lebensbedrohlichen Krankheit ihrer eigenen Tochter gezeichnet würden - diese besonder schwer in ihrem, den Menschenwürdekern umfassenden Persönlichkeitsrecht verletzten.

In zwei abweichenden Meinungen haben sich drei Richter diesem Beschluss nicht angeschlossen. In einem Sondervotum qualifizierten die Richterin Hohmann-Dennhardt und des Richters Gaier das Kriterium der Erkennbarkeit zur Bemessung der Schwere einer Persönlichkeitsbeeinträchtigung zum einen als untauglich. Zum anderen sei unberücksichtigt geblieben, dass in literaturwissenschaftlicher Hinsicht der Roman »Esra« einer eigenen literaturästhetischen Programmatik folge und eine narrative Konstruktion sei, nicht aber eine Reproduktion von Erfahrungswelten oder Autobiographisches darstelle. Im zweiten Sondervotum hielt der Richter Hoffmann-Riem dem Beschluss vor, nicht stringent zu argumentieren, wenn man gem. Art. 5 Abs. 3 GG der Kunstform des Romans generell die Vermutung des Fiktionalen auch bei Erkennbarkeit eines konkreten Vorbildes zuspreche, dies dann aber bei Darstellungen aus dem Sexualbereich dann aber nicht gelten lasse. Darüber hinaus bedrohe die Begrenzung des Schutzes künstlerischen Schaffens auf das Fiktionale die Eigenständigkeit des Umgangs mit Beobachtbarem in der Kunst, da die künstlerische Verarbeitung von Wirklichkeit in einem romanhaften Geschehen es nicht notwendigerweise zur Fiktion werden lasse, wohl aber zu einem Kunstwerk. Die Bejahung eines Schutzes dürfe also nicht auf ein »Entweder-Oder« von Fiktion oder Empirie reduziert werden.

Dokumente:

Institutionen:

Zu diesem Thema:

  • Ein Roman ist ein Roman ist ein Roman? Aufsatz von Professor Dr. Karl-Heinz Ladeur und Tobias Gostomzyk, Hamburg, ZUM 2004, 426-435
  • Verbotene Bücher, Eine Anmerkung zum Urteil des LG München   Maxim Biller - von Dr. Bernhard von Becker, München, ZUM 2003, 675-677
[IUM/hl]

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