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07.11.2007; 10:37 Uhr
Sind »Stumme Verkäufer« zum Vertrieb von Kaufzeitungen wettbewerbswidrig?
Kammergericht: Nur bei konkreter Gefährdung des Wettbewerbs und fehlender Vorsorge gegen kostenlose Entnahme

Der Vertrieb von Kaufzeitungen über mechanische Kaufhilfen, so genannte »Stumme Verkäufer«, kann grundsätzlich wettbewerbswidrig sein, wenn keine Vorsorge gegen die kostenlose Entnahme von Zeitungen getroffen wird und wenn eine konkrete Gefährdung des Bestands der Presse entsteht. Dies entschied das Kammergericht (KG) in zwei gleich lautenden Urteilen vom 21. September 2007 (Az. 5 U 198/06 und 5 U 199/06 - Veröffentlichung in der ZUM folgt).

Die Verlage zweier Berliner Tageszeitungen hatten sich mit Unterlassungsklagen gegen den geplanten Vertrieb der kostenpflichtigen Tageszeitung »Welt kompakt« durch die Axel Springer AG über »Stumme Verkäufer« gewandt. Dabei sollte zunächst nur durch einen Aufkleber auf den Boxen die Zahlung des Entgeltes verlangt werden. Auf Berufung der Beklagten hob das KG die stattgebenden Urteile des Landgerichts Berlin auf, da es die von aufgestellten materiellen Voraussetzungen für einen Unterlassungsanspruch im vorliegenden Fall für nicht gegeben ansah.

Dabei gingen die Kammerrichter aber davon aus, dass sich der Unterlassungsanspruch unter dem Gesichtspunkt der unzulässigen Wertreklame und des übertriebenen Anlockens gem. § 4 Nr. 1 UWG herleiten lasse. Durch die ursprünglich geplante Form des Vertriebs würden erhebliche Teile der angesprochenen Verkehrskreise verleitet werden, Zeitungen zu entnehmen, ohne diese zu bezahlen. So würde ein Unterschied gemacht zwischen Gratiszeitungen und Kaufzeitungen, indem letzteren gerade im Hinblick auf redaktionelle Leistungen eine höhere Qualität zugebilligt werde. Der bloße Hinweis auf die Zahlungsverpflichtung ohne weitere erkennbare Kontrollmaßnahmen erwecke ferner den Eindruck, dass die Zahlungsaufforderung nicht so ernst zu nehmen sei. Letztlich blieb hier der Anspruch dennoch unbegründet, da die Beklagte eine Unterlassungserklärung abgab und somit die Wiederholungsgefahr entfiel. Die darin enthaltenen Verpflichtungen zur Überwachung der Boxen durch Kontrolleure und Durchführung von stichprobenartigen Kontrollen seien nach Ansicht des KG ausreichend, ein Bezahlungsmechanismus bei den Automaten hingegen nicht erforderlich.

Auch eine allgemeine Marktbehinderung sei nicht gegeben, da es an einer konkreten Gefahr für die Mitbewerber fehle. Dabei übertrugen die Kammerrichter das Kriterium der konkreten Gefährdung, das der Bundesgerichtshof bei der Vergabe von Gratiszeitungen anwandte (Urteil vom 20. November 2003 - 20 Minuten Köln, ZUM 2004, 568), auf den streitgegenständlichen Sachverhalt für Kaufzeitungen, da auch hier das gefährdete Rechtsgut der Bestand der Presse gem. Art. 5 Abs. 2 GG sei. Bislang könnten aber aufgrund der geplanten geringen Anzahl der »Stummen Verkäufer« nur geringe Absatzrückgänge prognostiziert werden. Erst wenn sich das Gefährdungspotential dieser Wettbewerbsmaßnahme hinreichend sicher manifestiert habe, gebe es eine hinreichende Beurteilungsgrundlage, um über eine konkrete Gefährdung entscheiden zu können.

Das KG hat schon wegen der grundsätzlichen Bedeutung der Rechtssache die Revision zugelassen; die Entscheidungen sind bislang noch nicht rechtskräftig.

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