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30.11.2010; 16:10 Uhr
Anhörung der Enquête-Kommission »Internet und digitale Gesellschaft« zum Urheberrecht
Sachverständige über stärkere Berücksichtigung der Endnutzer weitgehend einig - Forderung nach Vereinfachung

Bei der Anhörung der Enquête-Kommission »Internet und digitale Gesellschaft« zum Urheberrecht am 29. November 2010 referierten zehn Sachverständige zu Fragen der Urheberrechtsreform und stellten sich anschließend den Fragen der Abgeordneten und einiger Bürger. Zwischen den Experten bestand weitgehende Einigkeit darüber, dass neben den Interessen des Urhebers auch die der Endnutzer zu berücksichtigen seien und eine Vereinfachung des Urheberrechts geboten sei. Hinterfragt wurde, ob Änderungen des bestehenden Urheberrechts an einzelnen Stellen ausreichend sind, um den gegenwärtigen Problemen zu begegnen, oder ob ein neues Gesetz geschrieben werden muss. Dabei wurden auch unterschiedliche Positionen hinsichtlich des geltenden europa- und völkerrechtlichen Regelwerks deutlich. Während einige den internationalen Rahmen als gegeben hinstellten, gab Musikwirtschaftsforscher Prof. Dr. Peter Tschmuk aus Wien zu Bedenken, dass gerade Länder wie Deutschland (im Gegensatz zu Österreich und der Schweiz) die Möglichkeit hätten, das internationale Rad auch wieder zurück zu drehen, oder eine andere Richtung einzuschlagen.

Prof. Dr. Thomas Dreier sprach sich gegen ausufernde Ausschließlichkeitsrechte der Urheber aus. Zu einer Lösung der aktuellen Problemlage befragt, könne er sich vorstellen, nicht-kommerzielle Nutzungen von urheberrechtlich geschützten Leistungen zu erlauben. Während der Anhörung wurden exemplarisch von Amateuren erstellte und auf Plattformen wie »YouTube« hochgeladene Remixes/Mash-ups genannt. Als weiteres Beispiel nannte Tschmuk die musikalische Untermalung von Urlaubsfotos. Er hält eine Liberalisierung der Ausschließlichkeitsrechte auch mit Blick auf Filesharing-Netzwerke für sinnvoll. Solche Netzwerke sollten nicht verteufelt werden. Denn es sei inzwischen erwiesen, dass durch Filesharing auch Anreize entstehen können. Zudem könnten Teenager, die viele neue Anregungen über Gratissysteme bekommen, später als kaufkräftige Konsumenten Umsätze generieren. Demgegenüber gebe es keine Beweise, dass die Auswirkungen von Musiktauschsystemen auf den Handel mit Tonträgern signifikant sind. Dieser Ansicht ist auch der Wirtschaftswissenschaftler Dr. Sacha Wunsch-Vincent von der WIPO, der bemerkte, dass vor dem Hintergrund mangelnder empirischer Evidenz und belegbarer Thesen zu den Auswirkungen des illegalen Filesharing auf internationaler Ebene zu Unrecht das Potential des Netzes abgebremst werde.

Als Lösungsansatz, um dem Urheberrecht aus seiner »Legitimationskrise« (Prof. Dr. Gerald Spindler) zu verhelfen, wurde auch die Kulturflatrate erörtert, die Tschmuk als sinnvoll ansieht und die zumindest im Bereich der Musik und des Films in einigen Ländern wie Dänemark und Großbritannien schon teilweise realisiert sei. Sacha Wunsch-Vincent monierte, dass bisher die Kulturflatrate offenbar an den Interessen einzelner großer Verwerter gescheitert sei. Denn an sich könne sie der Unterhaltungsindustrie einen »großen Kuchen« bescheren.

Eine Generalklausel wie die US-amerikanische »Fair Use«-Doktrin wurde unterschiedlich beurteilt. Während Dreier und Spindler sich für eine, auch EU-rechtliche, Implementierung aussprechen, sieht Prof. Dr. Karl-Nikolaus Peifer die Sache anders. Mit Blick auf die USA sei in erster Linie von einer Vielzahl von Gerichtsprozessen auszugehen, damit ein unbestimmtes Institut wie »Fair Use« konturiert wird. Der US-amerikanische Professor Lawrence Lessig fordert z.B. für viele Nutzungen über YouTube etc. »Free Use«, da die »Fair Use«-Doktrin viel zu unbestimmt sei und daher keine belastbare Grundlage für Zugeständnisse gegenüber Nutzern darstelle.

Zum Komplex der Rechtsdurchsetzung kam auch das (kürzlich von Kulturstaatsminister Neumann thematisierte) abgestufte Konzept mit Warnhinweisen zur Sprache. Kritisch äußerte sich zu diesem Vorschlag Matthias Spielkamp von »iRights.info«. Warnhinweise könnten nur umgesetzt werden, wenn der gesamte Datenverkehr im Netz überwacht wird, denn anders könne man gar nicht wissen, ob jemand potentiell Urheberrechtsverletzungen begeht.

 

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