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02.12.2011; 13:57 Uhr
Fahnungsfotos von Natascha Kampusch: EuGH entscheidet zur Werknutzung für Zwecke der öffentlichen Sicherheit
Presse darf nicht allein über Veröffentlichung entscheiden, Zusammenhang mit Ermittlungen erforderlich

Der EuGH hat gestern über die Voraussetzungen der Werknutzung für Zwecke der öffentlichen Sicherheit seitens der Presse entschieden (Urteil vom 1. Dezember 2011, Az. C-145/10, Veröffentlichung in ZUM oder ZUM-RD folgt). Danach kann die Presse Bilder als »Fahndungsfotos« ohne Genehmigung des Urhebers veröffentlichen, wenn bereits staatliche Ermittlungen eingeleitet worden sind und die Presseveröffentlichung diese flankiert. Zudem muss die Presse im Einvernehmen mit der zuständigen Behörde handeln. Ein konkreter Aufruf des Staates zur Veröffentlichung von Fahnungsfotos ist jedoch nicht erforderlich.

Die Fotografin Painer verlangt von einigen Verlagen Unterlassung und Schadensersatz wegen der ungenehmigten Verwendung der von ihr angefertigten Portraits von Natascha Kampusch. Die Fotos stammen aus der Kindheit Kampuschs und wurden in veränderter Form von den Beklagten veröffentlicht, nachdem deren Flucht bekannt geworden war. Die österreichische Polizei hatte nach dem Verschwinden Kampuschs im Jahre 1998 einen Fahndungsaufruf erlassen und die Fotos in diesem Zusammenhang verwendet.

In Österreich setzten sich die Gerichte mit mehreren Rechtfertigungsmöglichkeiten auseinander: Berichterstattung über Tagesereignisse, Zitatrecht, freie Benutzung und Werknutzung zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit (§ 41 östUrhG). Der OGH Wien beurteilte im einstweiligen Rechtsschutz die Veränderung der »Phantom«-Bilder als freie Benutzung (§ 5 Abs. 2 östUrhG). Bei Portraitfotos sei der individuelle Gestaltungsspielraum und damit auch der urheberrechtliche Schutz eng (Entscheidung vom 26. August 2008, Az. 4 Ob 92/08w). Das Handelsgericht Wien legte die Sache dem EuGH wegen Bedenken an dieser Auslegung des Unionsrechts letztes Jahr vor.

Neben einer Klarstellung, dass an Portraitfotos bei entsprechender Schöpfungshöhe umfassender Urheberrechtsschutz entsteht, geht der EuGH auf die Beschränkung der Ausschließlichkeitsrechte Painers durch das Zitatrecht und die Benutzung zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit ein. Die Richter hatten zu entscheiden, ob das Vorliegen einer Beschränkung zu Zwecken der öffentlichen Sicherheit nach Art. 5 Abs. 3 lit. e) Info-Richtlinie einen behördlichen Fahndungsaufruf voraussetzt, oder ob Medien auch selbst über eine solche Verwendung entscheiden dürfen. Nach den Ausführungen der Luxemburger Richter steht der Presse ein solches Recht nicht zu. Zwar lasse die Beschränkung des Urheberrechts nach Art. 5 Abs. 3 lit. e) Info-Richtlinie mangels konkreter unionsrechtlicher Vorgaben einen weiten Beurteilungsspielraum, dieser sei jedoch durch den Drei-Stufen-Test begrenzt. Der Schutz der öffentlichen Sicherheit sei dem Staat vorbehalten und die Ausnahme vom Ausschließlichkeitsrecht des Urhebers somit grundsätzlich auf dessen Handeln beschränkt.

Der EuGH verlangt mit Blick auf das Informationsinteresse der Öffentlichkeit und die entsprechende Funktion der Presse einen Zusammenhang zwischen dem Verhalten der Presse und dem des Staates. Ein solcher Zusammenhang sei gegeben, wenn der Veröffentlichung ein Ermittlungsverfahren vorausgeht und das Einvernehmen der ermittelnden Behörde vorliegt.

Im Rahmen der Frage, ob sich die Verlage auch auf das Zitatrecht stützen können, stellen die Luxemburger Richter einen Zusammenhang zur Werknutzung im Interesse der öffentlichen Sicherheit her. Das Handelsgericht Wien fragte, ob das Zitatrecht nach Art. 5 Abs. 3 lit. d) Info-Richtlinie bei fehlender Nennung des Urhebers nicht anwendbar sei. Dies bejaht der EuGH zwar, weist aber darauf hin, dass eine Namensnennung nach Art. 5 Abs. 3 lit. e) Info-Richtlinie nicht erforderlich ist. Daher entfalle das Erfordernis auch im Rahmen des Zitatrechts, wenn die Bilder zuvor von den nationalen Sicherheitsbehörden öffentlich zugänglich gemacht worden sind.

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