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22.06.2006; 16:22 Uhr
BVerfG bestätigt Rechtsprechung zu Unterlassungsansprüchen bei mehrdeutigen Äußerungen
Unterschiedliche Vorgaben für nachträgliche Sanktionierung und zukunftsgerichtete Abwehr

Die verfassungsrechtlichen Vorgaben für die Deutung mehrdeutiger Äußerungen unterscheiden sich grundlegend, je nach dem, ob die nachträgliche Sanktionierung schon erfolgter Äußerungen oder allein deren zukunftsgerichtete Abwehr in Frage steht. Dies entschied die 1. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) durch Beschluss vom 24.5.2006 (Az. 1 BvR 49/00; 1 BvR 55/00; 1 BvR 2031/00   Veröffentlichung in der ZUM folgt) laut einer Pressemitteilung vom 22.6.2006 und bezieht sich dabei ausdrücklich auf seine »Stolpe«-Entscheidung vom 25.10.2005 (siehe hierzu eigene Meldung vom 16.11.2005).

So hatte ein Arzt auf Unterlassung der Verbreitung von Aussagen zweier Abtreibungsgegner geklagt, die Flugblätter gegen die vom Kläger auf einem Klinikgelände betriebene private, auf Schwangerschaftsabbrüche spezialisierte Praxis verteilt hatten. Auf diesen stand u. a.: »Stoppen Sie den Kinder-Mord im Mutterschoß auf dem Gelände des Klinikums, damals: Holocaust - heute: Babycaust«. Gegen das nicht stattgebende Urteil des Oberlandesgerichts legte der Kläger Verfassungsbeschwerde ein, ebenso wie die Abtreibungsgegner gegen ihre Verurteilung zu einer Geldstrafe wegen Beleidigung des Arztes und der Klinikträgerin.

Die Verfassungsbeschwerde des Arztes hatte überwiegend Erfolg. Nach Ansicht des BVerfG hatte das Oberlandesgericht die mehrdeutige Aussage »Kinder-Mord im Mutterschoß« nicht im Sinne des allgemeinen Sprachgebrauchs, sondern vielmehr im rechtstechnischen Sinne zu verstehen. Denn anders als bei nachträglich an eine Äußerung anknüpfenden rechtlichen Sanktionen müssten bei zukunftsgerichteten Unterlassungsansprüchen künftiger Persönlichkeitsbeeinträchtigungen und gleichzeitig fehlender Klarstellung der mehrdeutigen Aussage die nicht fern liegenden Deutungsmöglichkeiten herangezogen werden. Anhand dieser sei dann zu prüfen, »ob die Äußerung in einer oder mehrerer dieser Deutungsvarianten zu einer rechtswidrigen Beeinträchtigung des Persönlichkeitsrechts führt«. Im vorliegenden Fall bejahte das BVerfG nach diesen Vorgaben sowohl für die Auslegung des Begriffs »Mord« als auch für den Vergleich »Holocaust - Babycaust« eine Persönlichkeitsverletzung des Arztes. Im Gegensatz dazu hätte bei der strafrechtlichen Verurteilung der Abtreibungsgegner das erkennende Gericht klären müssen, ob eine Beleidigung der Klinikträgerin oder der bei dieser tätigen Einzelpersonen gegeben sei, die jeweils unterschiedlichen Begründungsanforderungen unterlägen. Bei Mehrdeutigkeit hätte dann die für die Beschuldigten günstigere Deutung zugrunde gelegt werden müssen.

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