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11.09.2007; 11:11 Uhr
BVerfG: »Rundfunkgebühren verfassungswidrig festgesetzt«
ARD, ZDF und Deutschlandradio mit Verfassungsbeschwerden erfolgreich - gemischte Einschätzungen bei Politik und Wirtschaft

Die Gebührenfestsetzung durch den Rundfunkgesetzgeber für den Zeitraum vom 1.4.2005 bis 31.12.2008 Rundfunkgebühr, bei dem dieser um 28 Cent unter der von der Kommission zur Ermittlung des Finanzbedarfs der Rundfunkanstalten (KEF) empfohlenen Gebühr geblieben war, verletzt die ARD, das ZDF und das Deutschlandradio in ihrer Rundfunkfreiheit. Dies entschied der Erste Senat des Bundesverfassungsgerichts (BVerfG) auf die Verfassungsbeschwerden der drei Rundfunkanstalten durch Urteil vom 11. September 2007 (Az. 1 BvR 2270/05, 1 BvR 809/06, 1 BvR 830/06 - Veröffentlichung erfolgt in der ZUM 11/2007). Keinen Erfolg hingegen hatten ihre Beschwerden hinsichtlich der mit dem 8. RÄStV eingeführten erweiterten Prüfungskriterien der KEF hinsichtlich der Bedarfsanmeldungen der Rundfunkanstalten, da diese verfassungskonform auch als bloße Hilfskriterien ausgelegt werden können. Zugleich lehnte das Gericht aber eine rückwirkende Gebührenerhöhung ab, ebenso wie eine Feststellung der Nichtigkeit, da dadurch die Rechtsgrundlage für die Höhe der Rundfunkgebühr entfiele. Jedoch sei ab der neuen Gebührenperiode ab dem 1.1.2009 ein Ausgleich für entgangene Gebühren und somit Mittel für die künftige Erfüllung des Funktionsauftrags zu gewähren.

Dabei stellte das BVerfG zunächst fest, dass die von ihm als geboten angesehenen gesetzlichen Vorkehrungen zum Schutz der publizistischen Vielfalt und damit die duale Rundfunkordnung auch im digitalen Umfeld ihre Daseinsberechtigung haben. Die zusätzlichen Verbreitungsformen und -wege sowie der ökonomische Wettbewerb führten nicht automatisch zu einem breiteren publizistischen Angebot. Angesichts dessen, der Entwicklungen der Medienmärkte und des steigenden Konzentrationsdrucks gelte der Funktionsauftrag des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zur Sicherung der Angebotsvielfalt weiterhin fort. Die hierfür nötige vorrangige Finanzierungsform sei die der öffentlich-rechtlichen Gebühren, deren Festsetzung frei von medienpolitischen Zwecksetzungen zu sein habe. Hierbei hätten die bereits im Urteil des BVerfG vom 22. Februar 1994 aufgestellten Grundsätze weiter Bestand (ZUM 1994, 173-186). Bei der Ausgestaltung werde das bisherige dreistufige Verfahren der Bedarfsfeststellung (Bedarfsanmeldung der Rundfunkanstalten, externe Kontrolle durch die KEF und abschließende Gebührenentscheidung durch den Rundfunkgesetzgeber) diesen Vorgaben am ehesten gerecht. Auch entsprächen die gesetzlichen Ausgestaltungen im RStV diesen Vorgaben.

Die dabei zulässige Abweichungsbefugnis des Rundfunkgesetzgebers erschöpfe sich auch nicht allein in den beiden Gesichtspunkten der Sicherung des Informationszugangs und der angemessenen Belastung für die Gebührenzahler, vielmehr könnten dabei auch im Rahmen einer Abwägung die wirtschaftlichen Interessen der Gebührenzahler berücksichtigt werden sowie die allgemeine wirtschaftliche Lage, die Einkommensentwicklung oder sonstige Abgabenbelastungen der Bürger, sofern sie sich auf die finanzielle Belastung der Gebührenzahler oder deren Zugang zur Information auswirkten. Dies könne auch die Akzeptanz von Gebührenentscheidungen bei den Betroffenen erleichtern. Will der Rundfunkgesetzgeber aber von der Empfehlung der KEF abweichen, so müsse er dabei nachprüfbare Gründe anhand nachvollziehbarer Tatsachenannahmen benennen, da nur so versteckte Eingriffe in die Programmautonomie abgewehrt werden könnten. Letzteres sei aber nicht geschehen. Zwar habe der Gesetzgeber bei seiner abweichenden Entscheidung auch auf das zulässige Kriterium der finanziellen Belastung der Gebührenzahler abgestellt, jedoch nicht allein. Ergänzend habe er auf »nicht hinreichend erschlossene Einsparpotentiale sowie auf Einsparpotentiale durch Selbstbindungen der Anstalten« verwiesen, ohne dies näher zu spezifizieren. Als rein medienpolitische und somit verfassungswidrige Begründung stuften die Verfassungsrichter zudem den Verweis auf die aktuelle Gesamtentwicklung der Aufgaben im dualen System und im Wettbewerb der Medien ein.

In einer ersten Stellungnahme ordneten der ARD-Vorsitzende Fritz Raff und der ZDF-Intendant Markus Schächter das Urteil als eine Entscheidung ein, die für Anstalten und Bundesländer mehr Rechtssicherheit und eine Grundlage schaffe, um miteinander die Frage der Rundfunkfinanzierung weiter zu diskutieren. Die medienpolitische Sprecherin der Bundestagsfraktion von Bündnis 90/Die Grünen wurde deutlicher und bezeichnete die Entscheidung als »eine Watsche für die Bundesländer und ein Sieg für die Unabhängigkeit des öffentlich-rechtlichen Rundfunks in Deutschland«, vor allem mit Blick auf die bestätigte Entwicklungsgarantie auch im digitalen Bereich. Ähnlich äußerte sich ihr Kollege von DIE LINKE, Lothar Bisky. Die beiden SPD-Bundestagsabgeordneten Monika Griefahn und Jörg Tausss stimmten dem zu, betonten aber zugleich den Willen, unter Beachtung der verfassungsgerichtlichen Leitlinien an der Erarbeitung eines neuen Konzeptes zur Finanzierung des öffentlich-rechtlichen Rundfunks festhalten zu wollen. Der Spielraum für letzteres scheint nach Ansicht ihrer Kollegen von der CDU/CSU-Fraktion, Wolfgang Börnsen und Reinhard Grindel, jedoch gering zu sein, weshalb diese für die Beibehaltung des jetzigen Systems der Rundfunkgebühren eintreten.

Demgegenüber forderten nun die Vertreter von der FDP im Bundestag, Hans-Joachim Otto und Christoph Waitz, die Definition und auch die Grenzen des öffentlich-rechtlichen Funktionsauftrags präziser zu gestalten. Ebenso äußerte sich der Präsident des Verbandes Privater Rundfunk und Telemedien e.V. (VPRT), Jürgen Doetz sowie Vertreter des Verbandes Deutscher Zeitschriftenverleger (VDZ) und des Bundesverbands Deutscher Zeitungsverleger. Letztere betonten zudem, dass das BVerfG den pressetypischen Online-Angeboten von ARD und ZDF keinen Freibrief erteilt hätten. Auch der Deutsche Fachjournalisten-Verband (DFJV) kritisierte - im Gegensatz zu dem Deutschen Journalisten-Verband, dass in der aktuellen Debatte hohe Gebühren mit hoher Qualität gleichgesetzt würden. Daher trat auch der DFJV-Vorstand Thomas Dreesen für eine Konzentration des öffentlich-rechtlichen Rundfunks auf mehr Information und Bildung und weniger auf Unterhaltung ein.

Dokumente:

Pressemitteilungen vom 11.9.2007:

Weitere Reaktionen:

Institutionen:

Zu diesem Thema:

  • Indexierung der Rundfunkgebühr - Eckpunkte für eine Neuordnung des Gebührenfestsetzungsverfahrens, Aufsatz von Barbara Nickel, München, ZUM 2006, 737-746
[IUM/hl]

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